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Richter erster Instanz dem Begriffe: frech, eine ungewöhnliche Ausdehnung gegeben hat.

»Frech,« – so sagt er, – »ist derjenige, welcher sich anmasst zu belehren, ohne selbst gehörig unterrichtet zu sein, denn er stellt sich eigenmächtig auf einen Standpunkt, welcher ihm nicht gebührt.« –

Wer also handelt, dem kann wohl der Vorwurf gemacht werden, dass er seine Kräfte zu hoch anschlage, sich überschätze, oder, wie der erste Richter selbst es nennt, anmaassend sei; frech aber braucht er deshalb nicht zu sein. – Ferner heisst es in dem ersten Erkenntnisse: »frech ist derjenige, welcher behauptet ohne zu wissen; denn seine Behauptung muss nothwendig Lüge enthalten.« Dies ist ein unrichtiger Schluss, und hat der erste Richter selber ihn widerlegt, indem er an einer andern Stelle des Erkenntnisses sagt: »wer über Staatsangelegenheiten öffentlich urtheilen will, der hat vor allem die Pflicht, sich selbst genau zu unterrichten; wer mit Verletzung dieser Pflicht tadelt, der tadelt frech; denn er kann es nicht wissen, ob das, was er behauptet, in der Wahrheit beruhe.« – Wer behauptet ohne zu wissen, kann allerdings irren; er urtheilt leichtsinnig, übereilt, darf deshalb aber noch keineswegs frech genannt werden.“ –

Eberhard sagt: frech ist, wer den anerkannten Gesetzen der Sittlichkeit und des Wohlstandes trotzt.

Adelung bezeichnet denjenigen als frech welcher sowohl die Gefahr auf eine unbesonnene Art verachtet, als auch die Gesetze des Wohlstandes, der Ordnung, der Menschheit und der guten Sitten ohne Scheu verletzt.“

„Dass dem Urtheile der gesitteten Welt Trotz geboten werde, darin besteht das eigentliche Merkmal der Frechheit.“

„Ein Tadel kann demnach seinem Inhalte oder seiner Form nach frech sein.“

Dem Inhalte nach frech nennen wir denselben, wenn die zur Begründung dienenden Argumente den anerkannten Geboten des Anstands und der Sitte Trotz bieten, wenn man dabei unrichtige Thatsachen anführt und geflissentliche Entstellung der Wahrheit sich zu Schulden kommen lässt.“

„Frech der Form nach ist ein Tadel, wenn er in einer den Anstand verletzenden, den Gesetzen der Sittlichkeit Trotz bietenden Weise vorgebracht wird.“

„Ueber den formell frechen Tadel wird freilich im Wesentlichen dem Gefühl die Entscheidung anheimfallen; das Urtheil über den materiell

Empfohlene Zitierweise:
Johann Jacoby: Urtheil des Ober-Apellations-Senats. In: Deutsch-Französische Jahrbücher. Bureau der Jahrbücher, Paris 1844, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsch_Franz_Jahrb%C3%BCcher_(Ruge_Marx)_058.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)