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eine entschiedene, aufrichtige Rückkehr, nicht zu „Gott,“ sondern zu sich selbst.

Alles das steht auch in Goethe, dem „Propheten,“ und wer offene Augen hat, der kann es heraus lesen. Goethe hatte nicht gern mit „Gott“ zu thun; das Wort machte ihn unbehaglich, er fühlte sich nur im Menschlichen heimisch, und diese Menschlichkeit, diese Emanzipation der Kunst von den Fesseln der Religion macht eben Goethe’s Grösse aus. Weder die Alten, noch Shakspeare, können sich in dieser Beziehung mit ihm messen. Aber diese vollendete Menschlichkeit, diese Ueberwindung des religiösen Dualismus kann nur von dem in ihrer ganzen historischen Bedeutung erfasst werden, dem die andre Seite der deutschen Nationalentwicklung, die Philosophie, nicht fremd ist. Was Goethe erst unmittelbar, also in gewissem Sinne allerdings „prophetisch“ aussprechen konnte, das ist in der neuesten deutschen Philosophie entwickelt und begründet. Auch Carlyle trägt Voraussetzungen in sich, die konsequenter Weise zu dem oben entwickelten Standpunkt führen müssen. Der Pantheismus ist selbst nur die letzte Vorstufe zur freien, menschlichen Anschauungsweise. Die Geschichte, die Carlyle als die eigentliche „Offenbarung“ hinstellt, enthält eben nur Menschliches, und nur durch einen Gewaltstreich kann ihr Inhalt der Menschheit entzogen und auf Rechnung eines „Gottes“ gebracht werden. Die Arbeit, die freie Thätigkeit, in der Carlyle ebenfalls einen „Kultus“ sieht, ist wieder eine rein menschliche Angelegenheit und kann auch nu auf gewaltsame Weise mit „Gott“ in Verbindung gebracht werden. Wozu fortwährend ein Wort in den Vordergrund drängen, das im besten Falle nur die Unendlichkeit der Unbestimmtheit ausdrückt und noch dazu den Schein des Dualismus aufrecht erhält? ein Wort, das in sich selbst die Nichtigkeitserklärung der Natur und Menschheit ist?

So viel für die innerliche, religiöse Seite des Carlyle’schen Standpunktes. Die Beurtheilung der äusserlichen, politisch-sozialen knüpft sich unmittelbar hieran; Carlyle hat noch Religion genug, um in einem Zustande der Unfreiheit zu bleiben; der Pantheismus erkennt immer noch etwas Höheres an, als den Menschen als solchen. Daher sein Verlangen nach einer „wahrhaften Aristokratie,“ nach „Heroen;“ als ob diese Heroen im besten Falle mehr sein könnten als Menschen. Hätte er den Menschen als Menschen in seiner ganzen Unendlichkeit begriffen, so würde er nicht auf die Gedanken gekommen sein, die Menschheit wieder in zwei Haufen Schafe und

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Engels: Die Lage Englands. In: Deutsch-Französische Jahrbücher. Bureau der Jahrbücher, Paris 1844, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsch_Franz_Jahrb%C3%BCcher_(Ruge_Marx)_178.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)