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Die Kanalisirung der Unteren Seine von Paris nach Rouen.

Die Seine ist nominell schiffbar von Marcilly bis zur Mündung auf 560 km Länge; die eigentliche Schiffbarkeit beginnt jedoch erst bei Montereau, wo sich die wasserreiche Yonne mit ihr vereinigt. Die Länge der „Oberen Seine“ von Montereau bis Paris beträgt 104 km. Das Gesammt-Gefälle von 21,5 m ist auf 12 Schleusen vertheilt, deren Stau-Anlagen aus beweglichen Wehren bestehen. Die Schleusen sind für Touage-Betrieb eingerichtet; ihre Kammern haben 185 m Länge und ihre Thore sind 12 m breit. Die Stauwerke sind derart angelegt, dass die geringsten Tiefen bei Niedrigwasser 1,60 m betragen. Während des kleinsten Wasserstandes führt der Fluss bei Melun etwa 30, bei Paris gegen 50 cbm pro Sek., bei Hochwasser 1300 bis 2000 cbm. Der Schiffahrtsverkehr ist sehr lebhaft, nahezu 1 000 000 t pro Jahr auf das Kilometer, wovon 6/7 zu Thal und nur 1/7 zu Berg geht. Die Touage- Gesellschaft macht schlechte Geschäfte, da die von Paris kommenden Schiffe meist ohne Ladung fahren, während die mit Fracht nach Paris gehenden Fahrzeuge die Kette nicht benutzen können.

Unterhalb der Metropolis bis zur Oise-Mündung, auf 69 km Länge, ist die Seine die frequenteste Wasserstrasse Frankreichs, da sie aus der Oise die vom flandrischen Kohlenbecken nach Paris fahrenden Boote aufnimmt und theilweise nach den kleinen städtischen Kanälen St. Denis und St. Martin, theilweise nach den Ladequais der inneren Stadt befördert. Der Jahresverkehr beträgt über 1 800 000 t auf das Kilometer, hiervon 7/8 zu Berg. Die Touage-Gesellschaft, welche auf dieser Flusstrecke ihre Kette gelegt hat, erzielt bedeutende Dividenden.

Von der Oise-Mündung bis Rouen, auf eine Länge von 172 km fällt der Schiffsverkehr bis auf 650 000 t pro km pro Jahr, etwa zur Hälfte zu Thal, zur andern Hälfte zu Berg. Die Touage-Gesellschaft „de Conflans à la Mer“ hatte anfangs gegen die freien Schleppdampfer anzukämpfen, deren Konkurrenz sie nicht ohne eigene schwere Einbussen allmählich vernichtete. Unterhalb Rouen musste sie jedoch die Kette aufgeben, da ihr Betrieb von den Remorqueuren lahm gelegt wurde. Die prächtige Hauptstadt der Normandie ist zur Zeit der Ueberladeplatz. zwischen Binnen- und See-Schiffahrt. Nur ein geringer Theil der stärker gebauten Flusschiffe wagt die gefahrvolle Fahrt durch das Mündungsbecken der Seine nach Le Havre. Durch den Bau eines am nördlichen Ufer der Seine-Mündung sich hinziehenden Parallel-Kanals von Le Havre nach Tancarville hofft man, einen grösseren Theil der Flusschiffahrt nach jenem Hafen zu ziehen.

Auch die mit der Eisenbahn beförderten Frachtgüter werden theilweise in Rouen an die Seeechiffe abgegeben. Wiewohl die Westbahn-Gesellschaft durch äusserst niedrige Differential-Tarife die aus Paris kommenden Güter bis Le Havre zu halten sucht, verliert sie in Rouen über 1/4 ihrer Frachten. Dagegen beherrscht sie zwischen Rouen und Paris den Güterverkehr. Sie hat der Schiffahrt nicht allein das ganze Stückgut, sondern auch den größten Theil des Massengutes abgenommen. Während auf der Seine zwischen Conflans und Rouen nur 650 000 t pro km im Jahr befördert werden, transportirt die Bahn nahezu das Dreifache, 1 700 000 t im Jahre auf das km.

Der Erfolg ist stets das beste Kriterium für die Güte einer Anlage. Wenn eine von der Natur aussergewöhnlich begünstigte Wasserstrasse in solcher Weise von der konkurrirenden Eisenbahn geschlagen wird, so beweist dies, dass die künstlichen Anlagen, mit denen man ihre Schiffbarkeit zu erhöhen versucht hat, unzureichend oder verkehrt angeordnet sind. Beides ist bei der Unteren Seine der Fall.

Der Lauf dieses Stromes zwischen Paris und Rouen eignet sich vortrefflich zur Schiffbarmachung. In der Luftlinie beträgt die Entfernung dieser beiden Städte 120 Kilometer. Die Seine windet sich jedoch in dem an vielen Stellen ungemein breiten Thale mit solchen Krümmungen, dass die Länge des Stromlaufs das Doppelte, 241 km misst. Das im ganzen 23 m, also durchschnittlich 1:10 500, betragende Gefälle war vormals grösstentheils auf etwa ein Dutzend Stromschnellen konzentrirt. Bänke aus eisenschüssigem Kies oder Kreide durchsetzten wehrartig an jenen Stellen den Fluss, während ober- und unterhalb derselben sich Kolke gebildet hatten. In den Woogstrecken besaß der Fluss sehr geringe Geschwindigkeiten und grosse Tiefen. Ueber den Bänken (hauts-fonds) war die Strömung reissend und die Tiefe sehr gering; sie betrug bei Niedrigwasser oft nur 70 bis 80 cm. Die vorzüglichen Ergebnisse neurer Strombau-Anlagen beweisen, dass ein derartiger Fluss sich ohne allzu grosse Kosten durch Verbauung der Kolke mit Grundschwellen sowie mit Baggerungen auf den Bänken reguliren lässt, wenn nur dafür gesorgt wird, event. durch Einschränkungswerke, dass das Querprofil der Wasserführung angemessen ist. Die Seine hat in der Nähe der unfern von Rouen liegenden Fluthgrenze bei dem geringsten Wasserstand 120 bis 150 cbm Wasser in der Sekunde bei gewöhnlichem Hochwasser 1200 bis 1400 cbm. Ihr Flussbett ist so tief eingeschnitten, dass nur selten Ueberschwemmungen eintreten, wiewohl die Hochwasserstände um 4 bis 6 m das Niedrigwasser übersteigen. Die Hochfluthen besitzen nur ausnahmsweise Gefahr bringende Geschwindigkeit. Eisgang tritt selten, Eisverstopfung niemals ein. Die Breiten des Bettes sind nicht übermässig groß, etwa 150 bis 200 m; nur an den Stellen, wo sich Inseln im Strome

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: Die Kanalisirung der unteren Seine von Paris nach Rouen. , Berlin 1881, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Bauzeitung_1881_H._88_96.pdf/8&oldid=- (Version vom 19.7.2023)