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44.
Das Erdmännlein und der Schäferjung.
Prätor. Weltbeschr. I. 122.

Im Jahr 1664. hütete unfern Dresden ein Junge die Heerde des Dorfs. Auf einmal sah er einen Stein neben sich, von mäßiger Größe, sich von selbst in die Höhe heben und etliche Sprünge thun. Verstaunt trat er näher zu und besah den Stein, endlich hob er ihn auf. Und indem er ihn aufnahm, hüpfte ein jung Erdmännchen aus der Erde, stellte sich kurz hin vor den Schäferjungen und sprach: „ich war dahin verbannt, du hast mich erlöst und ich will dir dienen; gib mir Arbeit, daß ich etwas zu thun habe.“ Bestürzt antwortete der Junge: „nun gut, du sollst mir helfen Schafe hüten.“ Das verrichtete das Männchen sorgsam bis der Abend kam. Da fing es an und sagte: „ich will mit dir gehen, wo du hingehst.“ Der Junge versetzte aber sogleich: „in mein Haus kann ich dich nicht gut mitnehmen, ich habe einen Stiefvater und noch andre Geschwister mehr, der Vater würde mich übel schlagen, wollte ich ihm noch jemand zubringen, der ihm das Haus kleiner machte.“ „Ja du hast mich nun einmal angenommen, sprach der Geist, willst du mich selber nicht, mußt du mir anderswo Herberg schaffen.“ Da wies ihn der Junge ins Nachbars Haus, der keine Kinder hatte. Bei diesem kehrte nun das Erdmännchen richtig ein und konnte es der Nachbar nicht wieder los werden.

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_092.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)