Seite:Deutsche Sagen (Grimm) V1 153.jpg

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die Augen: „nimm Jungfer Anne und laß mir Jungfer Katharine.“ Kam aber einer und wollte sich bei Fräulein Anne beliebt machen und um sie werben, so veränderte sich auf einmal die goldene Schrift und lautete umgekehrt: „nimm Jungfer Katharine und laß mir Jungfer Anne.“ Wenn sich jemand nicht daran kehrte und bei seinem Vorsatz blieb, und etwa im Hause übernachtete, quälte er ihn so und narrte ihn im Dunkeln mit Poltern, Werfen und Toben, daß er sich aller Heiraths-Gedanken entschlug und froh war, wenn er mit heiler Haut davon kam. Etliche hat er, wenn sie auf dem Rückweg waren, mit den Pferden über und über geworfen, daß sie Hals und Bein zu brechen meinten und nicht wußten, wie ihnen geschehen. Also blieben die zwei Fräulein unverheirathet, erreichten ein hohes Alter und starben beide innerhalb acht Tagen.

Einmal hatte eine dieser Fräulein von Hudemühlen einen Knecht nach Rethem geschickt, dies und jenes einzukaufen. Während dessen Abwesenheit fing der Geist in dem Gemache der Fräulein plötzlich an wie ein Storch zu klappern und sprach dann: „Jungfer Anne, heut magst du deine Sachen im Mühlen-Graben wieder suchen!“ Sie wußte nicht, was das heißen sollte, bald aber trat der Knecht ein und erzählte, daß er auf dem Heimritt unterwegs einen Storch nicht weit von sich sitzen gesehen, auf den er aus langer Weile geschossen. Es habe auch nicht anders geschienen, als ob er ihn getroffen, der Storch aber wäre

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_153.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)