Seite:Deutsche Sagen (Grimm) V1 201.jpg

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aufgethan, daran ein Schloß mit vielen Schlüsseln hängt. Aus Neugierde treten sie näher und endlich hinein. Es ist ein ziemlich weites Vorgemach, aber hinten wieder eine Thür. Sie gehen durch, in dem zweiten Gemach liegt allerhand Hausrath, besonders ein groß zehneimerig Faß Wein, davon waren die meisten Tauben abgefallen, allein es hatte sich eine Fingersdicke Haut angesetzt, so daß der Wein nicht herauslaufen konnte. Als sie es alle vier mit Händen angriffen, schlotterte es und gab nach, wie ein Ei mit weichen Schalen. Indem sie nun solches betrachten, kommt ein wohlgeputzter Herr aus einer schönen Stube, rothen Federbusch auf dem Hut, in der Hand eine große zinnerne Kanne, Wein zu holen. Beim Thür-Aufmachen hatten sie gesehen, daß es in der Stube lustig hergehet, an zwei Tischen schöne Manns- und Weibsbilder, haben Musik und sind fröhlig. Der aber den Wein zapft, heißt sie willkommen und in die Stube gehen. Sie erschrecken und wünschen sich weit davon, doch spricht die eine, sie wären zu unsauber und nicht angeschickt, zu so wohlgeputzten Leuten zu gehen. Er bietet ihnen dennoch Trinken an und reicht die Kanne. Wie sie sich entschuldigt, heißt er sie warten, bis er für sie eine andere Kanne geholt. Als er nun weg ist, spricht die Älteste: „laßt uns hinausgehen, es möchte nicht gut werden; man sagt, die Leute seyen in den Bergen hie verfallen.“ Da gehen sie eilends heraus, hinter sich hören sie nach wenig Schritten ein Knallen und Fallen, daß sie heftig erschrecken.

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_201.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)