Seite:Deutsche Sagen (Grimm) V1 217.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

nicht zu überlassen. Er hatte zu dem Ende ein paar gute Pistolen gekauft und wollte mit der einen die Braut, mit der andern hernach sich selbst tödten. Zu dem Ort der Ausführung war ein etwa zehn bis zwölf Schritte von dem Thor gelegenes Haus, bei welchem die Braut vorbei mußte, von ihm ausersehen. Als nun der ganze prächtige Zug von Wagen und Reutern, den eine große Menge Volks begleitete, daher kam, schoß er mit der einen Pistole in den Braut-Wagen hinein. Allein der Schuß geschah ein wenig zu früh, also daß die Braut unversehrt blieb, einer andern Edelfrau aber, die im Schlag saß, ihr etwas hoher Kopf-Putz herabgeschossen ward. Da diese in Ohnmacht sank und jedermann herbei eilte, hatte der Thäter Zeit, durch das Haus zur Hinterthür hinaus zu entfliehen und, indem er über ein ziemlich breites Wasser glücklich sprang, sich zu retten. Sobald die Erschrockene wieder zu sich selbst gebracht war, setzte sich der Zug aufs neue in Bewegung und die Hochzeit wurde mit der größten Pracht gefeiert. Doch die Braut hatte dabei ein trauriges Herz, welche nun der Krystall-Schauung nachdachte und sich den Erfolg davon zu Gemüthe zog. Auch war ihre Ehe unglücklich, denn ihr Mann war ein harter und böser Mensch, der das tugendhafte und holdselige Fräulein, ungeachtet ihm ein liebes Kind geboren ward, auf das grausamste behandelte.


Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_217.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)