Seite:Deutsche Sagen (Grimm) V1 358.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


gegen die Menschen, strebte sie blos, ihre Schätze immer noch zu vermehren. Flüche und gotteslästerliche Reden hörte man viel aus ihrem Munde. Auch die übrigen Bürger dieser unmäßig reichen Stadt, zu deren Zeit man Amsterdam noch nicht nannte, und Rotterdam ein kleines Dorf war, hatten den Weg der Tugend verlassen.

Eines Tags rief diese Jungfrau ihren Schiffmeister und befahl ihm auszufahren und eine Ladung des edelsten und besten mitzubringen, was auf der Welt wäre. Vergebens forderte der Seemann, gewohnt an pünktliche und bestimmte Aufträge, nähere Weisung; die Jungfrau bestand zornig auf ihrem Wort und hieß ihn alsbald in die See stechen. Der Schiffmeister fuhr unschlüssig und unsicher ab, er wußte nicht, wie er dem Geheiß seiner Frau, deren bösen, strengen Sinn er wohl kannte, nachkommen möchte und überlegte hin und her, was zu thun. Endlich dachte er: ich will ihr eine Ladung des köstlichsten Weizen bringen, was ist schöners und edlers zu finden auf Erden, als dieß herrliche Korn, dessen kein Mensch entbehren kann? Also steuerte er nach Danzig, befrachtete sein Schiff mit ausgesuchtem Weizen und kehrte alsdann, immer noch unruhig und furchtsam vor dem Ausgang, wieder in seine Heimath zurück. „Wie, Schiffmeister, rief ihm die Jungfrau entgegen, du bist schon hier? ich glaubte dich an der Küste von Africa, um Gold und Elfenbein zu handeln, laß sehen, was du geladen hast.“ Zögernd, denn an ihren Reden sah er schon, wie wenig

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_358.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)