Seite:Deutsche Sagen (Grimm) V1 361.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


von vielen verhöhnt, sank sie je länger je mehr in Noth und Elend, hungrig bettelte sie Brot vor den Thüren und bekam oft keinen Bissen, endlich verkümmerte sie und starb verzweifelnd.

Der Weizen aber, der in das Meer geschüttet worden war, sproß und wuchs das folgende Jahr, doch trug er taube Ähren. Niemand achtete das Warnungszeichen, allein die Ruchlosheit von Stavoren nahm von Jahr zu Jahr überhand, da zog Gott der Herr seine schirmende Hand ab von der bösen Stadt. Auf eine Zeit schöpfte man Hering und Butt aus den Ziehbrunnen und in der Nacht öffnete sich die See und verschwalg mehr als drei Viertel der Stadt in rauschender Flut. Noch beinah jedes Jahr versinken einige Hütten der Insassen und es ist seit der Zeit kein Seegen und kein wohlhabender Mann in Stavoren zu finden. Noch immer wächst jährlich an derselben Stelle ein Gras aus dem Wasser, das kein Kräuterkenner kennt, das keine Blüte trägt und sonst nirgends mehr auf Erden gefunden wird. Der Halm treibt lang und hoch, die Ähre gleicht der Waizenähre, ist aber taub und ohne Körner. Die Sandbank, worauf es grünt, liegt entlangs der Stadt Stavoren und trägt keinen andern Namen als den des Frauensands.


Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_361.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)