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366.
Die Wanderung der Ansivaren.
Tacitus ann. XIII, 54–56.

Die Friesen waren in einen leeren Landstrich unweit des Rheines vorgedrungen, hatten schon ihre Stätte genommen und die Äcker besäet, da wurden sie von den Römern mit Gewalt wieder ausgetrieben. Das Erdreich stand von neuem leer, die Ansivaren rückten hinein: ein nicht zahlreiches Volk, aber stark durch den Beistand, den ihm die umliegenden Stämme mitleidig leisteten, weil es heimathlos und von den Chaucen aus seinem Sitz verjagt worden war. Bojocal, der Ansivaren Führer, wollte sich und sein Volk unter den Schutz der Römer stellen, wenn sie diesen leeren und öden Platz ihnen für Menschen und Viehheerden lassen würden. Das Land habe vorzeiten den Chamaven, dann den Tubanten und hierauf den Usipiern gehört; und weil den Göttern der Himmel, den Menschen die Erde zustehe, so dürfe jedes Volk ein leeres Land besetzen. Darauf wandte Bojocal (die Abneigung der Römer voraussehend) seine Augen zur Sonne, rief die übrigen Gestirne an und stellte sie öffentlich zur Rede: „ob sie den leeren Grund und Boden bescheinen wollten? sie möchten lieber das Meer wider diejenigen ausschütten, welche also den Menschen das Land entzögen.“ Die Römer aber schlugen das Gesuch ab, und wollten keinen andern Richter anerkennen, über das was sie zu geben

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_024.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2018)