Seite:Deutsche Sagen (Grimm) V2 052.jpg

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ihren Dienern befohlen, so bald sie zu dem Schenken das Wort sprechen würde: „mische den Becher!“ daß sie durch die Lucke des Gastes Schulterblatt durchstoßen sollten, und so geschah auch. Denn bald gab das grausame Weib jenes Zeichen, und der unselige Gast sank mit Wunden durchbohrt zur Erde.

Da König Rodulf von seines Bruders Mord Kundschaft bekam, klagte er schmerzlich und sehnte sich nach Rache; alsbald brach er den neuen Bund, und sagte den Longobarden Krieg an. Wie nun der Schlachttag erschien, war Rodulf seiner Sache so gewiß: daß ihm der Sieg unzweifelhaft deuchte, und während das Heer ausrückte, er ruhig im Lager blieb und Schachtafel spielte. Denn die Heruler waren dazumal im Kampf wohl erfahren, und durch viele Kriege berühmt. Um freier zu fechten, oder als verachteten sie alle Wunden, pflegten sie auch nackend zu streiten, und nichts als die Scham zu bedecken an ihrem Leibe.

Als nun der König, wie gesagt, fest auf die Tapferkeit der Heruler baute, und ruhig Tafel spielte, hieß er einen seiner Leute auf einen nahestehenden Baum steigen, daß er ihm der Heruler Sieg desto schneller verkündige; doch mit der zugefügten Drohung: „meldest du mir von ihrer Flucht, so ist dein Haupt verloren.“ Wie nun der Knecht oben auf dem Baume stand, sah er, daß die Schlacht übel ging; aber er wagte nicht zu sprechen, und erst wie das ganze Heer dem Feinde den Rücken kehrte, brach er

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_052.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)