Seite:Deutsche Sagen (Grimm) V2 126.jpg

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entbieten lasse. Nun geschah es, daß der König schon über neun Jahre ausgewesen war; da hob sich zu Aachen an dem Rhein Raub und Brand über alle Länder. Da gingen die Herren zu der Königin und baten, daß sie sich einen andern Gemahl auswählte, der das Reich behüten könnte. Die Frau antwortete: „wie möcht ich so wider König Karl sündigen, und meine Treue brechen! so hat er mir auch das Wahrzeichen nicht gesandt, das er mir kund thät, als er von hinnen schied.“ Die Herren aber redeten, ihr so lange zu, weil das Land in dem Krieg zu Grund gehen müsse, daß sie ihrem Willen endlich zu folgen versprach. Darauf wurde eine große Hochzeit angestellt, und sie sollte über den dritten Tag mit einem reichen König vermählt werden.

Gott der Herr aber, welcher dies hindern wollte, sandte einen Engel als Boten nach Ungerland, wo der König lag, und schon manchen Tag gelegen hatte. Als König Carl die Kundschaft vernommen, sprach er: „wie soll ich in dreien Tagen heimkehren, einen Weg, der hundert Raste lang ist, und funfzehn Raste dazu, bis ich in mein Land komme?“ Der Engel versetzte: „weißt du nicht, Gott kann thun was er will, denn er hat viel Gewalt. Geh’ zu deinem Schreiber, der hat ein gutes, starkes Pferd, das du ihm abgewinnen mußt; das soll dich in einem Tage tragen über Moos und Haide, bis in die Stadt zu Rab, das sey deine erste Tagweide. Den andern Morgen sollt du früh ausreiten, die Donau hinauf bis gen Passau;

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_126.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)