wurde von allen Leuten werth gehalten, aber von
Imma, des Kaisers Tochter, heftig geliebt. Sie war
dem griechischen König als Braut verlobt, und je
mehr Zeit verstrich, desto mehr wuchs die heimliche
Liebe zwischen Eginhart und Imma. Beide hielt die
Furcht zurück, daß der König ihre Leidenschaft entdecken
und darüber erzürnen möchte. Endlich aber mochte der
Jüngling sich nicht länger bergen, faßte sich, weil
er den Ohren der Jungfrau nichts durch einen fremden
Boten offenbaren wollte, ein Herz, und ging bei
stiller Nacht zu ihrer Wohnung. Er klopfte leise an
der Kammer Thüre, als wäre er auf des Königs Geheiß
hergesandt, und wurde eingelassen. Da gestanden
sie sich ihre Liebe, und genossen der ersehnten
Umarmung. Als inzwischen der Jüngling bei Tages
Anbruch zurück gehen wollte, woher er gekommen war,
sah er, daß ein dicker Schnee über Nacht gefallen
war, und scheute sich über die Schwelle zu treten,
weil ihn die Spuren von Mannsfüßen bald verrathen
würden. In dieser Angst und Noth überlegten die
Liebenden was zu thun wäre, und die Jungfrau erdachte
sich eine kühne That: sie wollte den Eginhart
auf sich nehmen und ihn, eh es licht wurde, bis nah
zu seiner Herberg tragen, daselbst absetzen und vorsichtig
in ihren eigenen Fußspuren wieder zurück kehren.
Diese Nacht hatte gerade durch Gottes Schickung
der Kaiser keinen Schlaf, erhub sich bei der frühen
Morgendämmerung, und schaute von Weitem in
den Hof seiner Burg. Da erblickte er seine Tochter
Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_146.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)