Seite:Deutsche Sagen (Grimm) V2 192.jpg

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Zeit darauf geschah’s, daß der Kaiser ein Gericht berief, und dazu Witwen und Waisen, daß nach dem Recht gerichtet würde. Als nun das Gericht besetzt war, trat des Grafen Gemahlin vor, trug das Haupt ihres Mannes heimlich unterm Gewand, kniete nieder, und forderte Hülfe und Recht. Hierauf fragte sie: „welchen Tod zu leiden der schuldig sey, der einen andern unschuldig enthaupten lassen?“ Der Kaiser sprach: „man soll ihm wieder sein eigen Haupt abschlagen.“ Da zog sie des Grafen Haupt hervor, und sprach: „Herr, du selbst bist es, der diesen meinen Mann unschuldig hast tödten lassen“ und offenbarte der Königin Falschheit. Der Kaiser erschrak, und forderte Beweis. Die Witwe wählte das Gottesurtheil, und trug das glühende Eisen, daß ihr nie kein Leid davon geschah. Da gab sich der Kaiser in der Frauen Gewalt, daß sie ihn tödten lassen könne nach dem Recht. Die Herren aber legten sich hinein, und erwarben dem Kaiser von der Frauen einen Aufschlag des Gerichts zehen Tage, darnach acht Tage, darnach sieben Tage, darnach sechs Tage. Und der Kaiser gab der Gräfin um jeden Aufschlag eine gute Feste; die haben davon den Namen, eine heißt die zehent, die andere die acht, die dritte die siebent, die vierte die sechst, und liegen im Lümer Bisthum. Und eh’ die Tage vollgingen – da die Witwe auf des Kaisers Haupt bestand, es wäre denn, daß die Hure sterbe, und damit allein könne sich der König lösen – so ließ er die Königin fahen und lebendig vergraben;

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_192.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)