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488.
Der verlorene Kaiser Friedrich[1].
Bruchstück eines Gedichts über Kaiser Friedrich, aus dem 15. Jahrh. im Cod. pal. 844.


Kaiser Friedrich war vom Pabst in den Bann gethan, man verschloß ihm Kirchen und Capellen, und kein Priester wollte ihm die Messe mehr lesen; da ritt der edle Herr kurz vor Ostern, als die Christenheit das heilige Fest begehen wollte, darum, daß er sie nicht daran irren möchte, aus auf die Jagd. Keiner von des Kaisers Leuten wußte seinen Muth und Sinn; er legte ein edles Gewand an, das man ihm gesendet hatte von Indien, nahm ein Fläschlein mit wohlriechendem Wasser zu sich, und bestieg ein edles Roß. Nur wenig Herren waren ihm in den tiefen Wald nachgefolgt; da nahm er plötzlich ein wunderbares Fingerlein in seine Hand, und wie er das that, war er aus ihrem Gesicht verschwunden. Seit dieser Zeit sah man ihn nimmer mehr, und so war der hochgeborne Kaiser verloren. Wo er hinkam, ob er in dem Wald das Leben verlor, oder ihn die wilden Thiere zerrissen, oder ob er noch lebendig sey, das kann niemand wissen. Doch erzählen alte Bauern: Friedrich lebe noch, und lasse sich oft als ein Waller bei ihnen sehen; dabei habe er öffentlich ausgesagt, daß er noch auf römischer Erde gewaltig werden, und die Pfaffen



  1. Die Sage mischt den zweiten zu dem ersten Friedrich.
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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_208.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)