Seite:Deutsche Sagen (Grimm) V2 229.jpg

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seinen Kram und setzte sich vors Burgthor, hielt Spindel und Seide feil. Endlich kam auch die Königin gegangen, ihr Mund brann wie ein Feuer und eilf Jungfrauen traten ihr nach. Gott grüß dich Krämerin, sprach sie im Vorübergang; was Schönes hast du feil? Die Krämerin dankte tugendlich und sagte: hochgelobte Königin, gnadet’s anzuschauen und kauft von mir sammt euern Jungfrauen!

Abends spat sprach die edle Königin: nun hat sich die Krämerin vor dem Thore verspätet; laßt sie ein, fürwahr, sie mag heunt bei uns bleiben. Und die Krämerin saß mit den Frauen züchtiglich zu Tisch. Als das Mahl vollbracht war, sagte die Königin: bei wem wollt ihr schlafen. Die Krämerin wär’ gern daheim gewesen, antwortete: Gott Dank euch, edle Königin! geliebt’s euch, so laßt mich allein liegen. Das wäre schlechte Ehre – versetzte sie – wohlan, ich hab zwölf Jungfrauen hier, bei der jüngsten ziemt euch zu liegen, da ist euer Ehre gar wohl bewahrt. Also lag die Krämerin die lange Nacht bei der zarten Jungfrau, und hatte dreizehn Tage feil in der Burg, und jede Nacht schlief sie bei einer andern Jungfrau. Wie nun die letzte Nacht kam, sagte die Königin: hat sie euch allen beigelegen, was sollt ich’s denn entgelten? Da wurde dem Brennberger angst, daß es um sein Leben geschehen wäre, wenn er bei der Königin liegen müßte; und schlich sich des Abends von dannen zu seinem Wirth, setzte sich alsbald zu Pferd und ritt ohn Aufenthalt, bis er in die Stadt zu Wien kam.

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_229.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)