Seite:Deutsche Sagen (Grimm) V2 232.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


so nah, daß ihn meine Arme umfangen hätten. Von der Zeit an kam weder Speise noch Trank über der Frauen Mund; eilf Tage lebte sie, und am zwölften schied sie davon. Ihr Herr aber, aus Jammer, daß er sie so unehrlich verrathen, stach sich mit einem Messer todt.




501.
Schreckenwalds Rosengarten.
Psellionorus Lustgarten. Straßb. 1621. S. 681. 682.


Unterhalb Mölk in Oestreich, auf dem hohen Agstein, wohnte vor Zeiten ein furchtbarer Räuber, Namens Schreckenwald. Er lauerte den Leuten auf, und nachdem er sie beraubt hatte, sperrte er sie oben auf dem steilen Felsen in einen engen, nicht mehr als drei Schritte langen und breiten Raum, wo die Unglücklichen vor Hunger verschmachteten, wenn sie sich nicht in die schreckliche Tiefe des Abgrunds stürzen, und ihrem Elend ein Ende machen wollten. Ein Mal aber geschah es, daß jemand kühn und glücklich springend auf weiche Baumäste fiel und herab gelangte. Dieser offenbarte nun nach vollbrachter Rettung das Raubnest, und brachte den Räuber gefangen, der mit dem Schwert hingerichtet wurde. Sprüchwörtlich soll man von einem Menschen, der sich aus höchster Noth nur mit Leib- und Lebensgefahr retten mag, sagen: er sitzt in Schreckenwalds Rosengärtlein.


Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_232.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)