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502.
Margaretha Maultasch.
Nachr. von Gespenstern. Frankf. 1737. S. 60. – 66.
Vergl. Aventin Bl. 4012.


In Tyrol und Cärnthen erzählen die Einwohner viel von der umgehenden Margaretha Maultasch, welche vor alten Zeiten Fürstin des Landes gewesen, und ein so großes Maul gehabt, davon sie benannt wird. Die Klagenfurther gehen nach der Betglocke nicht gern ins Zeughaus, wo ihr Panzer verwahret wird, oder ihr Vorwitz wird mit derben Maulschellen gestraft. Am großen Brunnen, da wo der aus Erz gegossene Drache steht, sieht man sie zu gewissen Zeiten auf einem dunkelrothen Pferde reiten. Unfern des Schlosses Osterwik stehet ein altes Gemäuer; manche Hirten, die da auf dem Felde ihre Heerden weideten, nahten sich unvorsichtig und wurden mit Peitschenhieben empfangen. Man hat darum gewisse Zeichen aufgesteckt, über welche hinaus keiner dort sein Vieh treibt; und selbst das Vieh mag das schöne, fette Gras, das an dem Orte wächst, nicht fressen, wenn unwissende Hirten es mit Mühe dahin getrieben haben. Zumal aber erscheint der Geist auf dem alten Schlosse bei Meran, neckt die Gäste, und soll ein Mal mit dem bloßen Schwerte auf ein neuvermähltes Brautpaar in der Hochzeitnacht eingehauen haben; doch ohne jemand zu tödten. In ihrem Leben war diese Margaretha kriegerisch, stürmte und verheerte Burgen und Städte, und vergoß unschuldiges Blut.


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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_233.jpg&oldid=- (Version vom 4.5.2021)