Seite:Deutsche Sagen (Grimm) V2 248.jpg

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Zeit wohnte, ließ er einen Stecken unter der Linde, da jedermann vorbei gehen mußte, richten, legte einen Hut drauf, und hatte einen Knecht zur Wacht dabei sitzen. Darauf gebot er durch öffentlichen Ausruf: wer der wäre, der da vorüber ginge, sollte sich dem Hut neigen, als ob der Herr selber zugegen sey; und übersähe es einer und thäte es nicht, den wollte er mit schweren Bußen strafen. Nun war ein frommer Mann im Lande, hieß Wilhelm Tell, der ging vor dem Hut über und neigte ihm kein Mal: da verklagte ihn der Knecht, der des Hutes wartete bei dem Landvogt. Der Landvogt ließ den Tell vor sich bringen und fragte: warum er dem Stecken und Hut nicht neige, als doch geboten sey? Wilhelm Tell antwortete: lieber Herr, es ist von ungefähr beschehen; dachte nicht, daß es euer Gnad so hoch achten und fassen würde; wär ich witzig, so hieß ich anders dann der Tell. Nun war der Tell gar ein guter Schütz, wie man sonst keinen im Lande fand, hatte auch hübsche Kinder, die ihm lieb waren. Da sandte der Landvogt, ließ die Kinder holen, und als sie gekommen waren, fragte er Tellen, welches Kind ihm das allerliebste wäre? Sie sind mir alle gleich lieb. Da sprach der Herr: Wilhelm, du bist ein guter Schütz, und find’t man nicht deins gleichen; das wirst du mir jetzt bewähren; denn du sollst deiner Kinder einem den Apfel vom Haupte schießen. Thust du das, so will ich dich für einen guten Schützen achten. Der gute Tell erschrak, fleht um Gnade, und daß man ihm

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_248.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)