„So bitte ich – sagte der Herzog – die Braut um einen
Trunk Weins, mein Herz ist mir ganz matt.“ Da
lief einer von den Leuten hinauf zu der Fürstin und
hinterbrachte, daß ein fremder Gast, dem ein Löwe
mit folge, um einen Trunk Wein bitten lasse. Die
Herzogin verwunderte sich, füllte ihm ein Geschirr mit
Wein und sandte es dem Pilgrim. „Wer magst
du wohl seyn – sprach der Diener – daß du von diesem
edlen Wein zu trinken begehrst, den man allein der
Herzogin einschenkt?“ Der Pilgrim trank, nahm seinen
goldnen Ring, und warf ihn in den Becher, und hieß
diesen der Braut zurück tragen. Als sie den Ring
erblickte, worauf des Herzogs Schild und Name geschnitten
war, erbleichte sie, stund eilends auf und
trat an die Zinne, um nach dem Fremdling zu schauen.
Sie ward den Herrn inne, der da mit dem Löwen
saß; darauf ließ sie ihn in den Saal entbieten und
fragen: wie er zu dem Ringe gekommen wäre, und
warum er ihn in den Becher gelegt hätte? „Von
keinem hab’ ich ihn bekommen, sondern ihn selbst genommen
es sind nun länger als sieben Jahre; und
den Ring hab’ ich hingeleget, wo er billig hin gehört.“
Als man der Herzogin diese Antwort hinterbrachte,
schaute sie den Fremden an, und fiel vor
Freuden zur Erden, weil sie ihren geliebten Gemahl
erkannte; sie bot ihm ihre weiße Hand und hieß ihn
willkommen. Da entstand große Freude im ganzen
Saal, Herzog Heinrich setzte sich zu seiner Gemahlin
an den Tisch; dem jungen Bräutigam aber wurde ein
Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_266.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)