Graf ihr keinen Glauben zustellen noch daraus trinken
würde, so sollte künftig im nachfolgende gräflich
oldenburgischen Geschlecht keine Einigkeit bleiben. Als
aber der Graf auf solche Rede keine Acht gab, sondern
bei ihm selber, wie nicht unbillig, ein groß Bedenken
machte, daraus zu trinken: hat er das silbern
vergüldte Horn in der Hand behalten, und hinter sich
geschwenket und ausgegossen, davon etwas auf das
weiße Pferd gesprützet; und wo es begossen und naß
worden, sind ihm die Haar abgangen. Da nun die
Jungfrau solches gesehen, hat sie ihr Horn wieder begehret;
aber der Graf hat mit dem Horn, so er in
der Hand hatte, vom Berge abgeeilet, und als er sich
wieder umgesehn, vermerkt, daß die Jungfrau wieder
in den Berg gangen; und weil darüber dem Grafen
ein Schrecken ankommen, hat er sein Pferd zwischen
die Sporn genommen, und im schnellen Lauf nach seinen
Dienern geeilet; und denselbigen, was sich zugetragen,
vermeldet, das silbern vergüldte Horn gezeiget,
und also mit nach Oldenburg genommen. Und
ist dasselbige, weil er’s so wunderbarlich bekommen,
vor ein köstlich Kleinod von ihm und allen folgenden
regierenden Herren des Hauses gehalten worden.
Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_339.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)