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An Wilhelm, Reichsgrafen zu Bentheim.
1812.

So wie ein lächeln Kind in holden Träumen
An seinem Lebensmorgen schuldlos ruht,
Noch dunkel schwebt vor ihm in fernen Räumen
Des bunten Lebens ungewisses Gut;

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So zeigt sich, reich an möglichem Geschicke,

Das junge Jahr voll Hoffnung unsrem Blicke.

Wenn in des Frühlings sonnenwarmen Tagen
Mit Blüten sich zuerst bedeckt der Baum,
Darf jede Blüte hoffen Frucht zu tragen,

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Nach wenig Nächten ach! die Hälfte kaum,

Und wie die Stunden weiter schreiten, müssen
Wir einen Theil der frühen Hoffnung missen.

Drum laß uns gern am Eingang hier verweilen,
Wo noch allein die Phantasie gebeut,

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Und jedem Bild Erfüllung darf ertheilen,

Kein holder Wahn die strenge Wahrheit scheut,
Und von des Jahres wechselnden Geschenken
Sich einzig nur die schönen braucht zu denken!

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutscher Dichterwald. Von Justinus Kerner, Friedrich Baron de La Motte Fouqué, Ludwig Uhland und Andern. J. F. Heerbrandt’sche Buchhandlung, Tübingen 1813, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Dichterwald_107.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)