Seite:Deutscher Dichterwald 250.jpg

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Und an der morschen Schwelle,

110
Da fiel das Fräulein jach,

Die Spindel auf der Stelle
Sie in die Ferse stach.

Was war das für ein Schrecken,
Als man sie Morgens traf!

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Sie war nicht mehr zu wecken,

Sie schlief den Zauberschlaf,
Ein Lager ward bereitet
Im hohen Rittersaal,
Goldstoffe drauf gebreitet

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Und Rosen ohne Zahl.


So schlief sie in der Halle,
Die Fürstin, reichgeschmückt.
Bald hatte die andern alle
Der gleiche Schlaf berückt.

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Die Sänger, schon in Träumen,

Rührten die Saiten bang,
Bis in des Schlosses Räumen
Der letzte Laut verklang.

Die Alte spann noch immer

130
Im stillen Kämmerlein,

Es woben in jedem Zimmer
Die Spinnen, groß und klein,
Die Hecken und Ranken woben
Sich um den Fürstenbau

135
Und um den Himmel oben,

Da spannen sich Nebel grau. –

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutscher Dichterwald. Von Justinus Kerner, Friedrich Baron de La Motte Fouqué, Ludwig Uhland und Andern. J. F. Heerbrandt’sche Buchhandlung, Tübingen 1813, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Dichterwald_250.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)