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7.
Wann ich bin ganz fein und mar,

mein, ich sei nun aus der Gfahr,
zieht der Koch mich listig raus,
richtet mich nach seinem Brauch.

8.
Er mich auf das Herdbrett legt,

spickt den Buckel brav mit Speck,
steckt den Spieß von hinten ein –
ich möcht ja so grob nicht sein!

9.
Dieses ist noch nicht genug,

glühend Kohlen legt man zu,
gießt das Fett wol oben ab,
daß ich gnug zu schwitzen hab.

10.
Wann ich alsdann fertig bin,

trägt man mich zur Tafel hin,
schneidt der Erst herab sein Theil,
reißt der Ander mich entzwei.

11.
Der Dritt schneidt herab das Best, –

friß, daß dir das Herz abstößt!
Beiner wirft man hintr die Thür
oder gar den Hunden für.

12.
So nimmt man mir sLeben ab,

eilt mit mir ins kühle Grab.
Fragt auch Niemand, wie es geht,
weil kein Hahn mehr um mich kräht.

(Justinus Kerner’s „Dichtungen. Stuttgart, 1834.“ S. 363. – „Aus den flieg. Blättern von Reutlingen.“)

6. mar, marb, mürb, weich.


57b. Vom Häslein.
1.
Ich armer Has im weiten Feld,

wie wird mir so manchmal nachgestellt!
man halt auf mich so manchen Hund,
bis man mich Häslein fangen konnt.

2.
Sobald die Nacht vergangen ist,

so sitzt der Vogel frisch auf dem Nest;
dann geh ich naus ins grüne Feld,
such mein Geweid wos mir gefällt.

3.
Sobald es aber des Morgens tagt,

dann zieht der Jäger frisch auf die Jagd:
„Sa sa, ihr Hund! in vollem Lauf
sucht mir geschwind einen Hasen auf!“

4.
Kriegt mich der Jäger ins Visier,

so spricht er gleich: „Sei willkomm hier!
willkomm, du liebes Häselein!“
Piff puff, tiff taff! gehts auf mich drein.

5.
O weh, o weh! jetzt bin ich getroffen,

da kommt das Blut herausgeloffen!
Nun gewürzt, zerrissen und entweidt
und eingeschnitten in mein rauhes Kleid!

6.
Bringt mich der Jäger dann nach Haus,

so werd ich zugericht zum Schmaus;
mein Stücker werden gespickt mit Speck,
die Halbscheid man an Bratspieß steckt.

7.
Die Halbscheid in dem Pfeffer liegt

und wird aufs beste zugericht;
dann werd ich gemacht so künstlich gut,
daß man die Finger darnach lecken thut.

8.
Komm ich halb gebraten auf den Tisch:

So schwenket alle Gläser frisch,
schenkt ein, schenkt ein den kühlen Wein!
Bin ich nicht ein delikates Häselein?

(Flieg. Bl. „Drey schöne neue Lieder.“ Das 1. Wahrscheinlich zu Cöln a. R. um 1763–80 gedruckt.)
Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Erk (Herausgeber): Deutscher Liederhort. Verlag von Th. Chr. Fr. Enslin, Berlin 1856, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Liederhort_(Erk)_196.jpg&oldid=- (Version vom 26.10.2019)