Seite:Deutscher Liederhort (Erk) 403.jpg

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1.
Droben auf grüner Waldheid

da steht ein schöner Birnbaum,
schöner Birnbaum trägt Laub.

2.
Was ist an demselbigen Baum?

ein wunderschöner Ast.
Ast am Baum, Baum in der Erd.
Droben auf grüner Waldheid
da steht ein schöner Birnbaum,
schöner Birnbaum tragt Laub.

3.
Was ist an demselbigen Ast?

ein wunderschöner Zweig.
Zweig am Ast, Ast am Baum, Baum in der Erd.
Droben auf grüner Waldheid etc.

4.
Was ist auf demselbigen Zweig?

ein wunderschönes Nest.
Nest aufm Zweig, Zweig am Ast,
Ast am Baum, Baum in der Erd.
Droben auf etc.

5.
Was ist in demselbigen Nest?

ein wunderschönes Ei.
Ei im Nest, Nest aufm Zweig,
Zweig am Ast, Ast am Baum, Baum
in der Erd.
Droben auf etc.

6.
Was ist in demselbigen Ei?

ein wunderschöner Vogl.
Vogel im Ei, Ei im Nest,
Nest aufm Zweig, Zweig am Ast,
Ast am Baum, Baum in der Erd.
Droben auf grüner Waldheid
da steht ein schöner Birnbaum,
schöner Birnbaum trägt Laub.

(Vielfach mündlich, aus dem Hessen-Darmstädtischen [Offenthal, Würtembergischen [Stuttgart], Fränkischen, Brandenburgischen [Neustadt a. d. D.] und der Prov. Sachsen [Leitzkau]. – Vgl. Erk, Volksl. B. I, H. 6, S. 48, Nr. 40; B. III, H. 1, S. 14, Nr. 14. – J. G. Büsching, „Wöchentl. Nachrichten.“ II, 66. – Meinert. S. 221. – F. W. v. Ditfurth, „Fränk. Volksl.“ II, 297. – L. Haupt u. J. E. Schmaler, „Volksl. der Wenden.“ I, 248.)

„Diese Art Lieder heißen Zählgeschichten, weil man sich ihrer in den Rockenstuben bedient, um den Wetteifer anzuregen: in soviel Zeit, als zum Vortrage einer Reimzeile erforderlich ist, einen Faden abzuspinnen und diese nach jenen zu zählen. Geschickte Spinner bringen es dahin, die längste Strophe abzusingen und abzuspinnen, ehe andere mit Einem Faden und Einer Reimzeile oder mit einer kurzen Str. fertig geworden – und man muß gestehen, daß sich der Fleiß in dieser Handarbeit keinen edleren Maßstab wählen konnte.“ (So Meinert in den Volksl. aus dem Kuhländchen. S. 442. – Vgl. Erk, Volksl. B. I, H. 3, S. 14, Nr. 17; H. 4, S. 44, Nr. 40; u. B. II, H. 1, S. 48, Nr. 41.)

1, 1. Draußen (dorten) auf grünigter (grünester) Heid. – 2, 1. Was wuchs (befand sich) an selbigem Baum? 2, 3. Baum in der Heck. – 3, 2. ein wunderschöner Zacken. – 3a. Ausführlicher: Am Zweige befindet sich – ein wunderschöner Stiel; am Stiel eine Birne; an der Birne ein Butzen; am Butzen ein Nest. – 5a. Im Ei ein Dotter; im Dotter ein Vogel. – 6a. Der gewöhnliche Schluß ist: Was wuchs an demselbigen Vogel! eine wunderschöne Feder. Feder am Vogel etc. – Was wird aus derselbigen Feder? ein wunderschönes Bett. Bett von der Feder etc. – Was liegt in demselbigen Bett? eine wunderschöne Magd (Braut). Magd im Bett etc. – Was liegt bei derselbigen Magd? ein wunderschöner Knecht. Knecht bei der Magd etc. – Was kam von demselbigen Knecht? ein wunderschönes Kind. Kind vom Knecht etc.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Erk (Herausgeber): Deutscher Liederhort. Verlag von Th. Chr. Fr. Enslin, Berlin 1856, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Liederhort_(Erk)_403.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)