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des Reiches waren für Deckung der Bedürfnisse nicht mehr zureichend, die erforderliche Ergänzung mußte somit durch Matrikularbeiträge erfolgen, wie es die Verfassung vorschrieb. Die Einzelstaaten aber widersprachen einer Erhöhung der Matrikularbeiträge, die auch die Landesfinanzen gänzlich zu verwirren drohte. So entstand eine Anleihewirtschaft, die aller gesunden Finanzpolitik Hohn sprach, indem Jahr für Jahr zur Deckung laufender Bedürfnisse Anleihen aufgenommen wurden. Vergeblich suchte die Gesetzgebung von 1904 und 1906 eine Änderung dieses ungesunden Zustandes herbeizuführen.

Sein Ende fand dieser traurige Zustand erst, als die Finanznot aufs höchste gestiegen war, mit der großen Finanzreform von 1909, durch welche die größeren indirekten Steuern einen weiteren Ausbau erfuhren, überdies die Bewegung des mobilen und immobilen Kapitales in erheblichem Umfang zur Deckung der Finanzbedürfnisse des Reiches herangezogen, endlich zur Ergänzung eine Reihe von kleineren Steuern (siehe oben) dem Systeme angefügt wurde. Damit war der großen Finanznot des Reiches ein Ende bereitet und das Reich finanziell auf eigene Füße gestellt. Eine endgültige und grundsätzlich richtige Regelung des Verhältnisses zwischen Reich und Einzelstaaten war aber auch damit nicht gewonnen: diese konnte nur darin bestehen, daß die Matrikularbeiträge vollkommen beseitigt würden; der Hauptgrund für ihre Beibehaltung im Jahre 1879, die Stärkung des föderativen Systems, kann heute keine Bedeutung mehr beanspruchen, da das Staatsleben des deutschen Bundesstaates in seinen Grundlagen vollkommen sicher festgestellt ist. Daß überhaupt noch weiter einerseits „Überweisungen“ vom Reich an die Einzelstaaten erfolgen, andrerseits die Einzelstaaten Matrikularbeiträge an das Reich abführen, ist bei der heutigen Entwickelung weder allgemein staatsrechtlich noch finanzrechtlich zu rechtfertigen. Die Weiterführung der Reform von 1909 durch die Gesetzgebung von 1913 wird die Möglichkeit geben, die Matrikularbeiträge ganz zu beseitigen und damit ein gesichertes eigenes Finanzsystem des Reiches zu schaffen.

Wertzuwachssteuer.

Über die sog. Zuwachssteuer – Wertzuwachs eines Grundstückes, der ohne Zutun des Eigentümers entstanden ist – hatte das Reich 1911 ein umfassendes Sondergesetz erlassen; die Steuer beträgt 10–30 vom Hundert des Wertzuwachses; der Reichsanteil an dieser Steuer wurde 1913 wiederaufgehoben.

Besitzsteuer.

Durch die Gesetzgebung von 1913 wurde dem System des Reichsfinanzrechtes nach schweren parlamentarischen Kämpfen eine „Besitzsteuer“ vom Vermögenszuwachs als hauptsächlichste Deckung für die neuen großen Militärausgaben eingefügt. Auch das Reichsstempelgesetz von 1909 erfuhr 1913 eine erhebliche Verschärfung.

Schuldenwesen.

Das Schuldenwesen des Reiches war vom Anfang an nach dem Vorbild der preußischen Gesetzgebung, die sich voll bewährt hatte, geordnet worden. Dabei ist es auch bis heute geblieben.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/171&oldid=- (Version vom 4.8.2020)