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in die Hand nehmen, unter voller Wahrung einer gesetzlich geregelten Auseinandersetzung der Verhältnisse aller Beteiligten.

Bisherige gesetzgeberische Versuche.

Der in Preußen bereits in der Landgemeindeordnung von 1892 unternommene und vor kurzem, 1911, trotz des lebhaftesten Widerspruches fast aller Vertreter der Selbstverwaltung erneute Versuch, die hier erörterte Frage durch die Bildung sogenannter „Zweckverbände“ zu lösen, zu denen die verschiedenen Arten von Selbstverwaltungskörpern – „behufs Erfüllung einzelner kommunaler Aufgaben jeder Art“ verbunden werden können, hat mindestens bisher irgendwelche Erfolge nicht aufzuweisen. Und der gleichzeitig für Groß-Berlin zur gemeinsamen Erfüllung einzelner Aufgaben:

– Regelung des Verhältnisses zu öffentlichen auf Schienen betriebenen Transportanstalten mit Ausnahme der Staatsbahnen; Beteiligung an der Feststellung der Fluchtlinien- und Bebauungspläne für das Verbandsgebiet und Mitwirkung an dem Erlasse von Baupolizeiverordnungen; Erwerbung und Erhaltung größerer von der Bebauung freizuhaltender Flächen –

gesetzlich begründete Zweckverband wird nach der ganzen Art seiner Organisation zur Behebung der in seinem Gebiete vorhandenen zahlreichen Verwaltungsgegensätze, ja – Ungereimtheiten kaum etwas beitragen können.

Wirkliche Lösungen großer Entwickelungsfragen werden immer nur dann gelingen, wenn sie von großzügigem Vertrauen in die zu regelnden Verhältnisse getragen sind; wie es der Schöpfer der Selbstverwaltung denen entgegenbrachte, die er zu ihrer Handhabung berief, obgleich sie bisher keinerlei Gelegenheit zur Betätigung eigener Verwaltungskunst gehabt hatten. An solchem Vertrauen hat es bei den letzterwähnten gesetzgeberischen Versuchen leider gemangelt, obgleich seitdem die Selbstverwaltung ihren Befähigungsnachweis zur Lösung auch schwieriger Aufgaben wohl als erbracht ansehen darf. –

Stellung des Staates zur Selbstverwaltung.

Das führt uns in der Rückschau auf die letzten 25 Jahre dazu, noch der Stellung des Staates zur Selbstverwaltung kurz zu gedenken. Sie ist, wie schon aus dem bisher Erörterten zum Teil hervorgeht, von merkwürdigen Widersprüchen nicht frei gewesen.

Gewiß ist die hohe Bedeutung der Selbstverwaltung für unser gesamtes Staatswesen öffentlich bisher noch niemals etwa bestritten worden. Mit freudigem und dankbarem Stolz durften im Gegenteil die im Jahre 1908 zur Jahrhundertfeier der Steinschen Städteordnung in ihrer Geburtsstadt versammelten Vertreter der preußischen Städte in dem Glückwunschgruß ihres Kaisers und Königs die Worte vernehmen:

„. . . Wie die gewaltigen Erfolge städtischer Selbstverwaltung im verflossenen Jahrhundert beweisen, haben sich die preußischen Bürgerstände dieser Aufgabe gewachsen, dieses Vertrauens würdig gezeigt . . .“

Auch die Herrscher der anderen deutschen Bundesstaaten und die Vertreter der

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/217&oldid=- (Version vom 4.8.2020)