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Entwurf eines Wohnungsgesetzes erinnert. – Allen solchen Erscheinungen gegenüber wird die Selbstverwaltung immer wieder den Wunsch nach mehr Vertrauen, nach einer vorurteilsfreieren Ausgestaltung ihrer Zuständigkeiten erheben müssen, nachdem sie der Staat doch einmal seit einem Jahrhundert als eine geeignete Staatsverwaltungsform anerkannt hat. Sie wird dies um so mehr dürfen, da ja einerseits der Staat selbst nicht in Abrede stellt, daß die ihr überwiesenen Arbeitsgebiete von ihr auch mit Liebe und Erfolg gepflegt und gefördert worden sind, und da andererseits ihre finanziellen Aufwendungen für das gesamte öffentliche Leben immer bedeutsamere geworden sind.

Finanzen der Selbstverwaltung.

Über dieses wichtige Sondergebiet ihrer Tätigkeit zum Schluß noch einige Worte, wobei, zumal im Hinblick auf im vorstehenden erörterte Mängel und Wünsche, zunächst dankbar anerkannt werden soll, daß die Entwickelung der Finanzen der Selbstverwaltung in den letzten Jahrzehnten durch eine klare und im wesentlichen bewährte Trennung ihrer und der staatlichen Finanzen wesentlich gefördert worden ist.

Zusammenfassend wird unbedenklich gesagt werden dürfen, daß sie noch in keinem früheren Zeitabschnitt eine so gewaltige gewesen ist, wie in den letzten 25 Jahren. Das trifft sowohl auf die Entwickelung der eigenen Einnahmen aus Gemeindevermögen und -betrieben aller Art, auf die erhobenen Steuern, wie auf die – aufgenommenen Schulden zu. – Die wachsende Vervielfältigung der Verwaltungsaufgaben spiegelt sich zunächst in der außerordentlichen Steigerung der laufenden Jahresausgaben wieder. Sie belaufen sich heute überall auf ein Vielfaches derjenigen vor 25 Jahren, und es wird nicht zuviel gesagt sein, daß die Haushaltsziffern der Städte heute im allgemeinen die vier- bis fünffache, in Einzelfällen – insbesondere in mancher der besonders schnell entwickelten Industriestädte im Westen – aber auch die zehn- und noch mehrfache Höhe derjenigen vor 25 Jahren erreicht haben. Es spiegelt sich darin sehr wirkungsvoll die außerordentliche Zunahme der in ihnen lebendigen wirtschaftlichen Kraft, wie der Fortschritte unseres gesamten Volkswohlstandes wieder. Denn die Deckung der so gewaltig gewachsenen jährlichen Aufwendungen wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht auch die Einnahmen fortgesetzt entsprechend gestiegen wären. Zur Herbeiführung des Gleichgewichts in ihrem Haushalte mußten sich die Städte einerseits die möglichste Steigerung ihres Vermögens und seiner Nutzbarmachung angelegen sein lassen, was vor allem durch die unmittelbare oder mittelbare Sicherung der wirtschaftlichen Vorteile zahlreicher, insbesondere der monopolartigen, gewerblichen Betriebe für die Allgemeinheit und durch eine gleichmäßige Vermehrung ihres Besitzes an Grund und Boden erzielt wurde. Sodann wurden sie durch einen wesentlichen Fortschritt der Gesetzgebung in die Lage gesetzt, in vermehrtem Umfange das durch die Tätigkeit der Gesamtheit geförderte Einzelinteresse mittels besonderer, dem unmittelbaren Vorteil entsprechender Abgaben – Gebühren und Beiträge – zur Tragung der Lasten der Allgemeinheit mit heranzuziehen. Diese haben auf den verschiedensten Gebieten der Verwaltung – Be- und Entwässerung, Müllabfuhr, Straßenreinigung, Straßen- und Platz-Anlagen oder -Veränderungen und dergleichen mehr – allmählich eine immer größere Bedeutung erlangt und dürfen auch

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/219&oldid=- (Version vom 4.8.2020)