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150%, in 402 Städten über 200%, Gemeindezuschläge zur Staatseinkommensteuer erhoben. Solchen Ziffern gegenüber werden deshalb im Interesse des Staatsganzen wie der Gemeinden immer dringendere Wünsche nach gesetzlicher Abhilfe laut. Sie richten sich einerseits auf die Herbeiführung eines gewissen Ausgleiches in der Einkommensteuerbelastung durch die Gemeinden, andererseits auf eine folgerechte Erweiterung ihres Besteuerungsrechtes, nachdem der Umfang der ihnen überwiesenen Staatsaufgaben in den letzten Jahrzehnten so außerordentlich vermehrt worden ist; daneben auch wohl auf die Beseitigung zum Teil noch bestehender, als überlebt zu erachtender Steuerprivilegien für gewisse Bevölkerungsklassen (Beamte, Lehrer, Geistliche, Offiziere). –

Schulden.

Das letzte wichtige Glied in dem Entwickelungsbilde der Finanzen der Selbstverwaltung bilden die von ihr aufgenommenen Schulden. Es existiert darüber bedauerlicherweise keine seit längerer Zeit durchgeführte einwandfreie Statistik, so daß ziffernmäßige Feststellungen der Entwickelung in den letzten 25 Jahren nicht möglich sind. Wie erheblich aber dieselbe gewesen sein dürfte, werden zwei erst in neuester Zeit genau ermittelte Ziffern erkennen lassen. Es beliefen sich nämlich in Preußen die in langfristigen Anleihen, Hypotheken und Grundschulden, sowie Restkaufgeldern bestehenden Schulden sämtlicher Städte am 31. März 1912 auf 4532,91 Mill. Mark, während sie am 31. März 1911 erst 4257,35 Mill. Mark betragen hatten; das ergibt also in einem Jahre eine Zunahme um 275,56 Mill. Mark. Man wird voraussichtlich kaum fehlgreifen, wenn man auch die heutige Verschuldung der Gemeinden im Durchschnitt mindestens auf das Vier- bis Fünffache derjenigen vor 25 Jahren bemißt. Daß diese starke Vermehrung sowohl vom Standpunkte der Beeinflussung des Reichs- und Staatskredits, wie von demjenigen der Kreditgeber zu allerlei Schwierigkeiten und Besorgnissen Veranlassung gegeben hat, kann nicht befremden. Denn das Reich wie die Bundesstaaten haben in der gleichen Zeit ihren Kredit ebenfalls fortgesetzt stark in Anspruch nehmen müssen, und die Kreditgeber der Gemeinden sehen auch deren sonstige Lasten ständig wachsen. Ernste Besorgnisse wegen der Verschuldung der Gemeinden werden trotzdem aus doppeltem Grunde nicht berechtigt sein. Einmal unterliegt ja die Selbstverwaltung auch auf diesem Gebiete ständiger staatlicher Kontrolle, die zumal bei dem Eigeninteresse des Staates natürlich mit besonderer Sorgfalt geübt wird, sowohl um eine Zunahme ihrer Verschuldung tunlichst hintanzuhalten, als auch um eine planmäßige und ausgiebige Tilgung aufzunehmender Schulden zu sichern. Daneben aber ist ferner und vor allem zu berücksichtigen, daß die Schuldenzunahme der Selbstverwaltungskörper in den letzten Jahrzehnten doch in sehr erheblichem Umfange zu produktiven Zwecken, namentlich im Interesse der Erweiterung ihres Grundbesitzes und ihrer Wirtschaftsbetriebe erfolgt ist. Dadurch wurde, wie oben bereits erörtert, die Grundlage ihrer Finanzen ständig verbreitert, ihre Leistungsfähigkeit verstärkt und damit auch die Sicherung ihrer Gläubiger im Vergleich zur Vergangenheit erheblich verbessert. Ja, es wird – obgleich bisher eine entsprechende Statistik leider noch fehlt – unbedenklich behauptet und an den Verhältnissen zahlreicher Einzelgemeinden jederzeit nachgewiesen werden können, daß nicht nur

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/222&oldid=- (Version vom 4.8.2020)