Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 1.pdf/241

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Belohnungen für parteipolitische Dienste darstellen. Der hohe ethische Wert, der in der Stellung der Mitglieder der Organe der Versicherungsträger liegt, äußert sich auch in der Haftung für getreue Geschäftsverwaltung nach dem Muster der Vormünder. Strenge Vorschriften sichern hier eine einwandfreie Verwaltung. Es soll aber auch vorgebeugt werden, daß die Arbeiter im Ehrenamt von diesem ferngehalten werden. Deshalb haben die Vertreter der Versicherten ihrem Arbeitgeber jede Einberufung zu den Organen anzuzeigen. Tun sie es rechtzeitig, so gibt das Fernbleiben von der Arbeit dem Arbeitgeber keinen wichtigen Grund, das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu lösen. Allerdings ist kein Arbeitgeber gehindert, die Beteiligung des Versicherten am Ehrenamt zum Anlaß der gesetzlich 14tägigen oder event. vertraglich noch kürzeren Kündigungsfrist zu nehmen.

Träger der Angestelltenversicherung ist die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, die ihren Sitz in Berlin hat, eine öffentliche Behörde und rechtsfähig ist. Als Organe sind gesetzlich bestellt das Direktorium, der Verwaltungsrat, die Rentenausschüsse und die Vertrauensmänner. Die Abgrenzung ihrer Funktionen muß hier dahingestellt bleiben. Daß in den Rentenausschüssen die Beisitzer teils aus den Arbeitgebern, teils den Angestellten entnommen werden, weist ebenso auf die Selbstverwaltung hin, wie daß die Vertrauensmänner je zur Hälfte aus diesen beiden Kategorien gewählt werden müssen. Man mag mit Fug bezweifeln, ob es notwendig war, die Verwaltung auf Grund des Angestelltenversicherungsgesetzes einer besonderen Behörde zu übertragen, ob nicht am besten das Reichsversicherungsamt sich auch zur Übernahme der Funktionen um so mehr geeignet hätte, als es doch eine fast auf ein Menschenalter zurückreichende Erfahrung angesammelt hat. Es ist aber nun einmal die verschiedenartige Organisation Gesetz geworden. Daß sie besonders einfach gestaltet ist, kann man nicht sagen; hoffentlich wird es der Hemmungen nicht allzu viele geben.

Gemeinsame Grundlagen der Versicherungszweige.

Der Grundgedanke der Vereinheitlichung hat, wie dargelegt, nicht dazu führen können, einen einzigen Versicherungstypus zu schaffen, der nicht nach den Voraussetzungen der Fürsorgebedürftigkeit, also nicht nach Krankheit, Unfall, Invalidität usw. differenziert ist. Aber er ist doch in einer großen Anzahl von Beziehungen, infolge Annäherung der Rechtsgedanken und Einrichtungen, die in den verschiedenen Zweigen der Versicherung zerstreut lagen, durch die Reichsversicherungsordnung zur Geltung gekommen. Abgesehen von der Übereinstimmung in den wichtigsten Grundbegriffen, wie Ortslohn, Beschäftigungsort und Entgelt, Landwirtschaft, Hausgewerbetreibende usw. gehört insbesondere der Aufbau der Versicherungsbehörden, in dem sich eine Vereinfachung und eine für sämtliche Versicherungszweige maßgebende sachliche Grundlage darbietet, unter diesen Gesichtspunkt. In architektonisch klarer und sicherer Weise sind in dreifacher Steigerung Versicherungsämter, Oberversicherungsämter und das Reichsversicherungsamt übereinandergesetzt. Neu sind freilich die beiden letzteren nicht, da das Reichsversicherungsamt schon lange bestand und die Oberversicherungsämter nur eine verbesserte Form der Schiedsgerichte der Arbeiterversicherung darstellen. Dagegen ist

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/241&oldid=- (Version vom 31.7.2018)