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Die Finanzreform von 1909 hat sie dann auch auf das Reich übernommen, der zu leistende Beitrag wurde aber auf 80 Pfennige pro Kopf erhöht. Eine Verbesserung besteht darin, daß zugleich den Bundesstaaten einige Sicherheit gegeben wurde, daß dieser Betrag zunächst nicht überschritten werden würde, und daß das Überweisungswesen eine wesentliche Vereinfachung erfuhr. Wenn nun auch die Matrikularbeiträge zunächst begrenzt sind, so bestehen sie doch, Erhöhungen sind rechtlich nicht ausgeschlossen, und sie schweben demnach wie ein Damoklesschwert über den Bundesstaaten. Nachdem sie nun einmal aus einer provisorischen eine ständige Einrichtung geworden sind, müßte wenigstens eine Festlegung ihres Höchstbetrags auf eine längere Zeitperiode erfolgen, zum Heile der Bundesstaaten, die vor Überraschungen gesichert wären, und des Reiches, das zur finanziellen Selbständigkeit geführt würde.

Das Schuldenwesen.

Im Jahre 1875 war das Reich noch schuldenfrei. Dann begann das Schuldenmachen, anfangs in mäßigen Beträgen, dann in immer größeren. Die 8 Jahre 1887–94 brachten allein eine Schuldenvermehrung von 486 auf 2081 Mill. M., was eine jährliche Zuwachsrate von rund 200 Millionen bedeutet. Es geschah dies in einer Zeit, in der über 500 Mill. M. „Überschüsse“ an die Bundesstaaten abgeführt wurden. Von da bis 1898 wuchs die Schuld mäßig, jährlich um etwa 35 Millionen, so daß der Schuldenstand sich damals auf 2223 Millionen belief. Davon entfielen 1848 Millionen auf die Landesverteidigung, nämlich 1502 auf das Heer, 346 auf die Flotte. Der Rest verteilt sich mit 117 Millionen auf die Reichseisenbahnen, 75 auf die Post- und Telegraphenverwaltung, 105 auf den Nordostkanal, 52 auf die Kosten des Zollanschlusses von Bremen und Hamburg, 46 auf das Münzwesen. Nur ein recht kleiner Teil der Schulden ist demnach für werbende Anlagen verwendet worden. Im Jahre 1900 betrugen die Schulden mit Einschluß von 80 Mill. langfristiger Schatzanweisungen 2395 Millionen. Dann setzt neuerdings eine Periode starker Verschuldung ein, so daß 1907 mit Einrechnung von 100 Millionen langfristiger Schatzanweisungen von 1904 der Schuldenstand 4004 Millionen betrug. Allerdings fallen in diese Zeit die Kriegsausgaben für Ostasien und Südwestafrika mit 717 Millionen, deren Übernahme auf Anleihen unvermeidlich war. Am 31. März 1912 war der Stand der Reichsanleihen 4,802 Milliarden M., darunter 220 Mill. M. verzinsliche Schatzanweisungen. Etwa 600–700 Millionen der Schulden entfallen auf werbende Anlagen, davon wieder über 300 Millionen auf die Eisenbahnen. Seit dem Jahre 1888, in dem 721 Mill. M. Schulden vorhanden waren, stieg also die Schuldenlast um rund 4,1 Milliarde oder 170 Millionen im Jahr. Entsprechend dem Anwachsen der Schulden ist auch die Zinsenlast gestiegen: 1888 erforderte die Verwaltung und Verzinsung 29 Millionen, 1913 stehen dafür 178,5 Millionen im Voranschlag.

Bis zum Jahre 1901 fehlte es an allen Grundsätzen im Anleihewesen, und die Verhältnisse drängten ja auch zu einer laxen Handhabung. Zahlreiche Ausgaben im ordentlichen Etat, die durch ordentliche Einnahmen hätten gedeckt werden sollen, wurden als außerordentliche behandelt und auf Anleihen übernommen. Es hat auch nicht an der Erkenntnis der Mißstände gefehlt; seit Ende der 1880er Jahre war die Finanzverwaltung

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/268&oldid=- (Version vom 4.8.2020)