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haben wir dem Meere anvertraut und mit diesen Werten Wohl und Wehe vieler Millionen unserer Landsleute. Wenn wir nicht rechtzeitig für den Schutz dieses kostbaren und unentbehrlichen nationalen Besitzes sorgten, waren wir der Gefahr ausgesetzt, eines Tages wehrlos ansehen zu müssen, wie er uns genommen wurde. Dann aber wären wir nicht etwa wirtschaftlich und politisch in das behagliche Dasein eines reinen Binnenstaates zurückgesunken. Wir wären vielmehr in die Lage versetzt worden, einen beträchtlichen Teil unserer Millionenbevölkerung in der Heimat weder beschäftigen noch ernähren zu können. Eine wirtschaftliche Krise wäre die Folge gewesen, eine Krise, die sich zu einer nationalen Katastrophe auswachsen konnte.

Bau der Kriegsflotte.

Der Bau einer zum Schutze unserer überseeischen Interessen ausreichenden Flotte war seit Ausgang der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts eine Lebensfrage für die deutsche Nation geworden. Daß Kaiser Wilhelm II. das erkannt und an die Erreichung dieses Zieles die ganze Macht der Krone und die ganze Kraft der eigenen Individualität gesetzt hat, ist sein großes geschichtliches Verdienst. Dieses Verdienst wird noch dadurch erhöht, daß das Oberhaupt des Reichs für den Bau der deutschen Flotte in dem Augenblick eintrat, wo sich das deutsche Volk über seine weitere Zukunft entscheiden mußte und wo nach menschlicher Berechnung die letzte Möglichkeit vorlag, für Deutschland den ihm notwendigen Seepanzer zu schmieden. Die Flotte sollte gebaut werden unter Behauptung unserer Stellung auf dem Kontinent, ohne Zusammenstoß mit England, dem wir zur See noch nichts entgegenzusetzen hatten, aber unter voller Wahrung unserer nationalen Ehre und Würde. Der damals noch recht erhebliche parlamentarische Widerstand war nur zu überwinden, wenn die öffentliche Meinung einen nachhaltigen Druck auf das Parlament ausübte. Die öffentliche Meinung ließ sich nur in Bewegung bringen, wenn gegenüber der im ersten Jahrzehnt nach dem Rücktritt des Fürsten Bismarck in Deutschland herrschenden unsicheren und mutlosen Stimmung das nationale Motiv mit Entschiedenheit betont und das nationale Bewußtsein wachgerufen wurde. Der Druck, der seit dem Bruch zwischen dem Träger der Kaiserkrone und dem gewaltigen Manne, der diese Krone aus der Tiefe des Kyffhäusers hervorgeholt hatte, auf dem deutschen Gemüt lastete, konnte nur überwunden werden, wenn dem deutschen Volk, dem es gerade damals an einheitlichen Hoffnungen und Forderungen fehlte, von seinem Kaiser ein neues Ziel gesteckt und ihm der Platz an der Sonne gezeigt wurde, auf den es ein Recht hatte und dem es zustreben mußte. Das patriotische Empfinden sollte aber auch nicht überschäumend und in nicht wieder gut zu machender Weise unsere Beziehungen zu England stören, dem gegenüber unsere Defensivstärke zur See noch für Jahre hinaus eine ganz ungenügende war und vor dem wir 1897, wie sich in jenem Jahr ein kompetenter Beurteiler einmal ausdrückte, zur See dalagen wie Butter vor dem Messer. Den Bau einer ausreichenden Flotte zu ermöglichen, war die nächstliegende und große Aufgabe der nachbismarckischen deutschen Politik, eine Aufgabe, vor die auch ich mich in erster Linie gestellt sah, als ich am 28. Juni 1897 in Kiel, auf der „Hohenzollern“, am gleichen Tage und an derselben Stelle, wo ich 12 Jahre später um meine Entlassung bat, von

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/28&oldid=- (Version vom 31.7.2018)