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7. Juni 1909 wurde es bereits umgestaltet. Auf das Gegenstück, ein Gesetz, das der übermäßigen Ausbeutung durch Kartelle und Syndikate entgegentritt, warten wir noch immer.

Privates Versicherungswesen.

Das private Versicherungswesen hatte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts großartig entwickelt. Aber die privatrechtliche Regelung bezog sich in Deutschland nur auf die Seeversicherung (geregelt bereits im Preuß. ALR. und im HGB.). Im übrigen überließ man es bis in die neueste Zeit den Beteiligten, das Versicherungsverhältnis durch Verträge zu regeln. Daß dies im allgemeinen in befriedigender Weise gelungen war, ergibt sich aus der ungeheuren Verbreitung der Versicherungen. Erst in neuester Zeit hat die Gesetzgebung eingegriffen. Zuerst erging das Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901; im wesentlichen hat es öffentlich-rechtlichen Charakter; es regelt die Zulassung zum Geschäftsbetrieb, das Verhältnis der Gegenseitigkeitsvereine und die staatliche Beaufsichtigung durch das kaiserliche Aufsichtsamt für Privatversicherung. Eine Regelung des Versicherungsvertrages selbst kam erst in dem Gesetz vom 30. Mai 1908 zustande. Es enthält in der Hauptsache den Niederschlag der Grundsätze, die bisher als Vertragsrecht (namentlich in Gestalt von allgemeinen Versicherungsbedingungen) Geltung hatten, ist aber ausgezeichnet durch sozialen Geist insofern, als es durch zwingende Normen die Beachtung von Treu und Glauben vorschreibt und den Versicherungsnehmer, der als einzelner immer der schwächere Teil ist, gegen die Übermacht der Versicherungsgesellschaften sicherstellt. –

Zivilprozeßrecht.

Das Zivilprozeßrecht regelt die staatliche Rechtspflege in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Es bildet eine notwendige Ergänzung des Privatrechts, weil dessen Vorschriften lebendige Kraft erst dadurch erhalten, daß sie das Verhalten der Beteiligten bestimmen; das tun sie aber nur dann, wenn die Gewißheit besteht, daß die Rechtsordnung durch ihre vom Staate dazu gesetzten Hüter gegen die Störer aufrechterhalten wird. Eine gute Prozeßgesetzgebung liegt deshalb nicht nur im unmittelbaren Interesse der beteiligten Privaten, sondern auch im öffentlichen Interesse: Justitia fundamentum regnorum.

Die bereits zur Zeit des Deutschen Bundes begonnenen und nach seiner Auflösung alsbald fortgesetzten Arbeiten zur Aufstellung einer neuen Zivilprozeßordnung fanden schon im Jahre 1877 in erweitertem Rahmen ihren Abschluß. Unter den damals erlassenen Reichsjustizgesetzen interessieren hier nur die Zivilprozeßgesetze. Mit großen Hoffnungen begrüßte man den 1. Oktober 1879, an dem sie in Kraft traten, weil man glaubte, im Anschluß an die französische Gesetzgebung eine Ordnung des Verfahrens gefunden zu haben, die es ermöglichen werde, schnelle und doch gute Justiz zu machen. Aber die praktischen Erfahrungen brachten eine große Enttäuschung. Sie mußten sie bringen, weil man, anstatt mit der Wirklichkeit zu rechnen und ein Verfahren vorzuschreiben, das praktisch durchführbar ist und im Durchschnitt der Fälle gut funktioniert, mit idealen Richtern, idealen Anwälten und idealen Parteien rechnete und das Hauptgewicht auf

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/282&oldid=- (Version vom 4.8.2020)