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Ob die Fassung des so entstandenen neuen Gesetzes glücklich ist, muß bezweifelt werden. Daß derjenige milder oder auch gar nicht bestraft werden soll, der bloß aus Unverstand, Übereilung oder sonst ohne bösen Willen eine majestätsbeleidigende Handlung begangen hat, wie es in dem Gnadenerlaß hieß, wird jedermann billigen. Etwas wesentlich anderes aber ist es, wenn, wie das demnächst entstandene Gesetz will, zur Strafbarkeit dem Täter nachgewiesen werden muß, daß er sowohl in der Absicht der Ehrverletzung, als auch böswillig, als auch mit Überlegung gehandelt hat. Diese in dem Gesetz enthaltene Häufung der Erfordernisse schießt über das Ziel hinaus, da selbst in den schweren Fällen der Nachweis des Zusammentreffens aller drei Voraussetzungen kaum zu führen, überdies der Begriff der Böswilligkeit ein schwankender und nicht völlig klar bestimmbarer ist. So ist denn die beabsichtigte Einschränkung tatsächlich eine zu große geworden, und die Möglichkeit einer Bestrafung auch wegen grober und recht frevelhafter Majestätsbeleidigungen so erschwert, daß mit Recht behauptet werden kann, der Rechtsschutz der deutschen Monarchen gegenüber Ehrverletzungen sei geringer geworden, als der jedes Privatmannes. Zwar hat ihnen das Gesetz in seinem letzten Absatz die Beantragung einer Verfolgung wegen gewöhnlicher Beleidigung nach dem 14. Abschnitt des Strafgesetzbuchs offen gelassen. Dieser Weg steht jedoch nur theoretisch offen, in der Wirklichkeit ist er verschlossen. Denn Stellung des Strafantrages, Auferlegung der Kosten im Falle der Zurücknahme, Wahrheitsbeweis, Straflosigkeit im Falle der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193), Retorsion und Kompensation, endlich gewisse prozessuale Eigentümlichkeiten bei gewöhnlichen Beleidigungsprozessen, sind alles Einrichtungen und Vorschriften, deren Anwendung auf einen Monarchen mit dessen Stellung unvereinbar ist. Deshalb ist praktisch der Satz richtig, daß der Rechtsschutz des Landesherrn hier geringer geworden ist, als der jedes Staatsbürgers. Daß dies aber eine Unbilligkeit ist und in einem monarchischen Staatswesen zu Unzuträglichkeiten führen kann, sollte auch der zugeben, der mit Recht ein Gegner von unnötigen Prozessen wegen Majestätsbeleidigung ist. Aus diesen Gründen ist es zu begrüßen, daß die Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs zu einem neuen Strafgesetzbuch beschlossen hat, in dem Entwurf wenigstens das „böswillig“ zu streichen. Auch das Erfordernis der Überlegung sollte gestrichen werden. Dann bliebe allein übrig die auf Ehrverletzung gerichtete Absicht. Diese aber rechtfertigt auch allein völlig die Strafbarkeit, denn es ist nicht einzusehen, welche Gründe rechtlicher oder moralischer Natur den grundsätzlich vor Strafe schützen sollen, dessen Wille direkt darauf gerichtet war, den Herrscher in seiner Ehre zu verletzen. Auch dann bleibt ein Mehr von Erfordernissen gegenüber der gewöhnlichen Beleidigung, denn diese setzt nicht jene Absicht voraus, sondern läßt das Bewußtsein der Beleidigung im Sinne des eventuellen Dolus genügen. Auch dann also ist die Verfolgbarkeit der Majestätsbeleidigung tatsächlich mehr eingeschränkt, als die der gewöhnlichen Beleidigung, aber in einer erträglichen, ja billigenswerten Weise. Und den Entschuldigungsgründen, die aus der Art des besonderen Falles heraus auch dem absichtlichen Beleidiger zur Seite stehen können, kann – wenigstens für die Zukunft – durch die später zu besprechende allgemeine Vorschrift des Entwurfs über die „besonders leichten Fälle“ Rechnung getragen werden. Ja in dieser Vorschrift, deren innere Berechtigung

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/303&oldid=- (Version vom 4.8.2020)