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Der Strafprozeß
Von Oberlandesgerichtspräsident a. D. Dr. Hamm, Wirklicher Geheimer Rat, Bonn

Geschichtlicher Überblick.

Von den großen mit dem 1. Oktober 1879 in Kraft getretenen Reichsjustizgesetzen ist die Strafprozeßordnung am ersten und meisten angegriffen und denn auch wiederholt Reformversuchen unterzogen worden, ohne daß diese bis jetzt – abgesehen von kleinen Änderungen – Erfolg gehabt hätten. Um dies zu erklären und die Wege zu finden, die für eine erfolgreiche Umarbeitung einzuschlagen sein dürften, bedarf es zunächst eines Rückblicks auf die Vorarbeiten und Verhandlungen, aus denen die Strafprozeßordnung hervorgegangen ist.

Einheitliche Ordnung des Strafverfahrens.

Eine einheitliche Ordnung des Strafverfahrens war schon durch die Verfassung des Norddeutschen Bundes in Aussicht genommen und von Bismarck als Bundeskanzler am 12. Juli 1869 der preußische Justizminister Dr. Leonhardt ersucht worden, die Aufstellung einer Strafprozeßordnung für den Norddeutschen Bund zu veranlassen. Der von diesem mit der Abfassung eines Entwurfs beauftragte damalige Vortragende Rat im preußischen Justizministerium Dr. Friedberg stellte den Entwurf im November 1870 fertig. Er wurde dann im preußischen Justizministerium eingehend beraten und 1873 von dem Justizminister Leonhardt nebst dem Entwurf eines Gerichtsverfassungsgesetzes dem Reichskanzler übermittelt.

Grundsätze bei Aufstellung des Entwurfs.

Man hatte sich bei Aufstellung des Entwurfs von dem Gedanken leiten lassen, das in den Strafprozeßgesetzen der einzelnen deutschen Staaten vorhandene Gute aufzunehmen und so in dem neuen Werke eine Fortbildung und einen Ausbau des Bestehenden zu schaffen. Aus den wesentlichen Punkten, welche für die Mehrzahl der innerhalb des Deutschen Reichs geltenden Strafverfahren Neuerungen darstellten, sind vor allem hervorzuheben: die Einführung des Laienelements in alle Stufen der erkennenden Strafgerichte, und zwar als Schöffen, unter Ersetzung der Schwurgerichte durch Große Schöffengerichte, sowie der allgemeine Ausschluß des Rechtsmittels der Berufung.

Der Bundesrat berief zur Beratung dieses (Dr. Leonhardtschen) Entwurfes eine Kommission von 11 hervorragenden deutschen Juristen. Die Kommission, deren Vorsitz

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/317&oldid=- (Version vom 4.8.2020)