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Heeresstärke und Mannschaftsbestand 1910.

So zählte die Armee am 1. Oktober 1910 633 Bataillone, 510 Eskadrons, 574 Batterien, 40 Fußartillerie-, 29 Pionier-, 12 Verkehrs- und 23 Trainbataillone, ungerechnet die Lehr- und Versuchstruppen usw. Die Kopfstärke betrug ohne Sanitäts- und Veterinäroffiziere, Beamten, Einjährig-Freiwillige und Handwerker 25 494 Offiziere, 87 350 Unteroffiziere, 505 839 Gemeine, 114 162 Pferde, 3126 Geschütze und 384 Maschinengewehre.

Wie wenig die durch dieses Gesetz herbeigeführte Heeresverstärkung dem wirklich vorhandenen Mannschaftsbestande entsprach, beweist der Umstand, daß zwar das Rekrutenkontingent 1910 ohne 13 145 Einjährig-Freiwillige 252 462 Mann betrug, im gleichen Jahre aber 144 737 Mann als mindertauglich dem Landsturm und 80 262 als künftig tauglich der Ersatzreserve überwiesen werden mußten.

Dagegen wurde die Ausbildung dadurch gefördert, daß die Mannschaften des Beurlaubtenstandes in steigendem Maße zum Dienst herangezogen wurden. In Preußen allein wuchs die Zahl der zu Übungen herangezogenen Leute bis 1911 auf 375 659. Die Reservisten wurden meist zur Verstärkung der Kompagnien und zur Aufstellung fehlender dritter Bataillone verwandt, aus den Wehrmännern ersten Aufgebots aber wurden besondere Formationen gebildet; gegen Ende des Quinquennats Reserveregimenter, die auf den Truppenübungsplätzen zusammentraten.

Eine offenbare Schwäche der Organisation stellte der Train dar. Die im Mobilmachungsfall aufzustellenden Formationen konnten nur durch Heranziehung von Reservisten der Kavallerie gebildet werden und mußten den Charakter von Improvisationen tragen. Die Menge dieser Formationen stand in gar keinem Verhältnis zur Stärke der Trainbataillone und der vorhandenen Trainoffiziere. Es mußten bei jedem Trainbataillon aufgestellt werden: Proviant-, Fuhrpark- und Feldbäckereikolonnen, Feldlazarette, die Trains der Feldverwaltungsbehörden; ferner 1 entsprechend zusammengesetztes Reservebataillon, 1 Ersatzbataillon und die umfangreichen Etappenformationen. Auch bei der Aufstellung der Brückentrains und der Trains der Verkehrstruppen mußten die Trainbataillone mitwirken. Sie hatten demnach eine Riesenaufgabe zu bewältigen, und es erschien recht fraglich, ob die hierfür vorgesehene Friedensorganisation im Ernstfall genügen würde. Trotzdem waren in dieser Richtung wohl aus Ersparnisrücksichten keine Verbesserungen angestrebt worden.

Entwickelung der politischen Lage von 1905–1911.

Mittlerweile hatte sich die politische Lage wenig günstig entwickelt. Nachdem es England nicht gelungen war, Deutschland durch das Jangtse-Abkommen in eine antirussische Politik bezüglich der Mandschurei zu verwickeln, hatte es sich Frankreich genähert und mit diesem das schon erwähnte Abkommen geschlossen, indem es Marokko diesem Lande überließ, ohne auf die Rechte und Interessen Deutschlands Rücksicht zu nehmen. Zugleich stellte es Frankreich für den Fall eines Krieges aus Anlaß der Marokkofrage seine tätige Teilnahme in Aussicht. In Deutschland fühlte man sich Frankreich zu Lande zunächst noch gewachsen. Da zugleich durch den unglücklichen

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/384&oldid=- (Version vom 15.9.2022)