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technischen Instrumentes einer modernen Flotte läge, aber man war überall taktisch in eine Sackgasse hineingeraten, und es war schwer, einen Ausweg aus diesem Wirrsal zu finden.

Als im Winter 1887/88 General v. Caprivi eine Reihe von Seeoffizieren zu einer Aussprache über diese Frage veranlaßte, herrschte Einstimmigkeit darüber, daß angestrebt werden müsse, die Formation – und damit die Möglichkeit zum einheitlichen Gebrauch der Artillerie als Hauptwaffe – so lange als irgend möglich zu erhalten; einen bestimmten Weg hierzu vermochte aber, außer der eigenen Überzeugung, daß es möglich sei, keiner von ihnen anzugeben. Das Nebeneinander der drei Waffen, von denen Ramme und der vom Panzerschiff aus geschossene Torpedo in seiner damaligen Form freie Beweglichkeit forderten, also Lösung der Ordnung, während die Artillerie zur Entfaltung ihrer höchsten Kraft stetigen Kurs und Fahrt, also Fahren in bestimmter Ordnung nötig hatte, ließ eben eine Gewißheit hierin nicht aufkommen.

So bestand neben dem Versuch des geschlossenen Gefechtes „das aufgelöste Gefecht“ bei uns noch reglementarisch zu recht, als Kaiser Wilhelm II. im Juni 1888 den Thron bestieg, und die Unzulänglichkeit der materiellen Rüstung zur See wurde gesteigert durch die Unsicherheit der taktischen Anschauungen. Wir aber haben uns durch diese vorbereitenden Ausführungen einen Einblick in die Mißlichkeit der damaligen Lage verschaffen müssen, weil wir erst daran werden ermessen können, was in den folgenden 25 Jahren geleistet worden ist.

Die Übergangszeit.

Maßnahmen beim Regierungsantritt Wilhelms II.

Kurz nach dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms II. bat General v. Caprivi um Entbindung von seiner Stellung. Ein Chef der Admiralität, der die gesamte Leitung der Marine in seiner Hand vereinte, ist fortan nicht wieder ernannt worden. Der zur Stellvertretung berufene älteste Seeoffizier, Vizeadmiral Graf v. Monts, erhielt vielmehr den Auftrag, eine Organisation in die Wege zu leiten, die Kommando und Verwaltung der Marine wieder voneinander trennte. So sind denn im Frühjahr 1889 das Reichsmarineamt und das Oberkommando der Marine eingesetzt worden. Der Kaiser machte sich zum Chef der Marine, ein Marinekabinett trat ihm zur Seite.

In diese Zeit des Übergangs fällt der Umschwung in unserer Schiffbaupolitik. Im August 1888 war, dem Entschluß des Kaisers folgend, der Entwurf zu Etat für 1889/90 dahin abgeändert worden, daß neben den andern Bauten vier große Panzerschiffe (die nachherige „Brandenburg“-Klasse) gefordert wurden. Die vier Schiffe sollten zu gleicher Zeit gebaut werden, um möglichst schnell den Kern einer Schlachtflotte zu bilden. Denn einer solchen könne das Deutsche Reich ebensowenig entraten, wie einer genügenden Anzahl moderner geschützter Kreuzer zum Schutz des eigenen und zur Schädigung des feindlichen Handels. Die in den Denkschriften zu früheren Etats geäußerten

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/405&oldid=- (Version vom 12.12.2020)