Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 1.pdf/419

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Flotte im Etat in Vorschlag gebracht, die eine bedeutende Steigerung des Geld- und Personalbedarfs gegen das Flottengesetz bedeutete. Ferner sollte die dort nur summarisch eingestellte Zahl der Torpedoboote vermehrt und Unterseeboote sollten geschaffen werden. Eine Novelle zum Flottengesetz stellte die – 1900 abgelehnte – Forderung von 6 weiteren großen Kreuzern für das Ausland wieder her. Von ihnen sollten 4, als Kreuzergeschwader formiert, stets zur Verwendung bereit sein, wo ihre Anwesenheit notwendig würde, während die anderen auf die Auslandsstationen zu verteilen seien. Da aber damals schon auch die Verwendung großer „Linienschiffskreuzer“ in der Schlacht sich durchzusetzen begann, sind diese Schiffe, soweit sie schon vollendet sind, später nicht dem Auslandsdienst, sondern der heimischen Schlachtflotte zugeteilt worden.

Mit erfreulicher Einmütigkeit und in richtiger Einschätzung ihrer Richtigkeit hat der deutsche Reichstag mit Ausnahme der Sozialdemokraten diese Forderungen angenommen, deren finanzielle Konsequenzen noch dadurch erhöht wurden, daß durch die Vergrößerung der Schiffe nicht nur die Dock- und Werftanlagen, sondern auch der Kaiser-Wilhelm-Kanal weitgehend beeinflußt wurden. Das Verständnis für die Notwendigkeit unserer Seerüstung in den Grenzen, wie sie das Flottengesetz vorsah, hatte sich eben jetzt bei allen Einsichtigen Bahn gebrochen, und das Verhalten Englands trug, fern davon als Einschüchterung zu wirken, nur dazu bei, die Richtigkeit des beschrittenen Weges zu bestätigen.

Englische Unterstellungen.

Das Jahr 1908 brachte ein neues Aufflammen der öffentlichen Meinung in England, das, aus Abneigung und Mißtrauen gegen Deutschland gemischt, zeitweilig beinahe zu einer Panik ausartete. Daß es ohne ersichtliche politische Veranlassung dazu kommen konnte, hatte seinen Grund auch in dem Verhalten der englischen Regierung. Die von ihren Vertretern dem Parlament vorgetragenen Stärkevergleiche verkehrten nicht nur die deutschen Abwehrrüstungen in Angriffspläne, sie rechneten auch, um dies zu begründen, mit unrichtigen Zahlen der auf beiden Seiten zu erbauenden und verfügbaren Schiffe. Wir haben auch diesen Übertreibungen gegenüber die Ruhe bewahrt. Festhaltend an dem Grundsatz, daß wir allein über die Stärke unserer Flotte zu bestimmen hätten, haben die Vertreter der deutschen Regierung doch keine Gelegenheit versäumt, um im Interesse des Friedens im englischen Parlament auftauchende irrige Anschauungen und ungenaue Zahlen richtigzustellen. Die Antwort des Reichstages an die englische Nation aber bestand darin, daß alle bürgerlichen Parteien den Marineetat für das Jahr 1909 mit noch nicht dagewesener Einigkeit ohne jede Generaldebatte annahmen.

Der Übergang zum Dreadnaught-Typ brachte Deutschland allerdings deshalb eine schnellere Steigerung der Qualität der Flotte, weil wir uns bisher im Interesse der Sparsamkeit und in Berücksichtigung der Verhältnisse des Kaiser-Wilhelm-Kanals bemüht hatten, das Deplazement unserer Schiffe möglichst niedrig zu halten. Im Deplazement drückt sich aber in gewissem Sinne auch immer die Kampfkraft aus, und so brachte uns jeder Neubau eines Schiffes der großen Klasse, der ein altes kleines ausscheiden ließ, mehr Zuwachs an Kampfkraft, als dies bei der englischen Flotte der Fall war, deren vor

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/419&oldid=- (Version vom 12.12.2020)