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„Die Basis einer gesunden und vernünftigen Weltpolitik ist eine kräftige nationale Heimatpolitik.“ Das sagte ich im Dezember 1901, als der Abgeordnete Eugen Richter einen Gegensatz hatte konstruieren wollen zwischen der Politik, die dem neuen Zolltarif zugrunde lag, die den Schutz der heimischen Arbeit, insbesondere der landwirtschaftlichen, bezweckte, und der neuen Weltpolitik, die den Interessen des Handels folgte. Der scheinbare Gegensatz war tatsächlich ein Ausgleich, denn die deutsche Weltwirtschaft war hervorgegangen aus einem zu höchster Blüte entwickelten nationalen Wirtschaftsleben. Die Verbindung zwischen Politik und Volkswirtschaft ist in unserer modernen Zeit eine innigere als in der Vergangenheit. Die modernen Staaten reagieren mit ihrer inneren wie mit ihrer auswärtigen Politik unmittelbar auf die Schwankungen und Veränderungen des hochentwickelten wirtschaftlichen Lebens, und jedes bedeutsame wirtschaftliche Interesse drängt alsbald in irgendeiner Weise zum politischen Ausdruck. Der Welthandel mit allen Lebensinteressen, die von ihm abhängen, hat unsere Weltpolitik notwendig gemacht. Das heimische Wirtschaftsleben fordert eine entsprechende Heimatpolitik. Hinüber und herüber muß ein Ausgleich gesucht und gefunden werden.

Sieben Jahre nach den Zolltarifverhandlungen kam der damals wirtschaftspolitisch umstrittene Ausgleich zwischen deutscher Welt- und Heimatspolitik in der großen Politik zur Geltung bei Gelegenheit der bosnischen Krise im Jahre 1908. Dies Ereignis ist vielleicht besser als jede akademische Erörterung geeignet, das rechte wirkliche Verhältnis zwischen unserer überseeischen und unserer europäischen Politik klarzulegen. Die deutsche Politik bis zur Aufrollung der bosnischen Frage war vorwiegend beherrscht von den Rücksichten auf unsere Weltpolitik. Nicht als ob Deutschland seine auswärtigen Beziehungen nach seinen überseeischen Interessen orientiert hätte, aber weil das Mißfallen Englands an der Entfaltung des deutschen Überseehandels und insbesondere an der Erstarkung der deutschen Seemacht auf die Gruppierung der Mächte und ihre Stellung zum Deutschen Reich einwirkte. Die öffentliche Meinung des sonst so besonnenen und unerschrockenen englischen Volkes überließ sich zeitweise einer gänzlich unbegründeten, ja sinnlosen und deshalb fast panikartigen Besorgnis vor einer deutschen Landung in England. Von einem nicht kleinen Teil der weitverzweigten und mächtigen englischen Presse wurde diese Besorgnis systematisch genährt.

Die englische Einkreisungspolitik.

In der englischen Politik machte sich seit dem Anfang des neuen Jahrhunderts der Einfluß König Eduards VII. geltend, eines Monarchen von ungewöhnlicher Menschenkenntnis und Kunst der Menschenbehandlung, von reicher und vielseitiger Erfahrung. Die englische Politik richtete sich nicht so sehr direkt gegen die deutschen Interessen als daß sie versuchte, durch eine Verschiebung der europäischen Machtverhältnisse Deutschland allmählich mattzusetzen. Sie suchte durch eine Reihe von Ententen, denen zuliebe vielfach nicht unwichtige britische Interessen geopfert wurden, die anderen Staaten Europas an sich zu ziehen und so Deutschland zu isolieren. Es war die Ära der sogenannten englischen Einkreisungspolitik. Mit Spanien war ein Mittelmeervertrag geschlossen worden. Frankreich kam dem Widersacher des Deutschen Reichs selbstverständlich entgegen,

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/42&oldid=- (Version vom 31.7.2018)