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jedem Schritte, der sie weiter führt, damit man nicht gezwungen ist, sie abzubrechen, weil man sich zu weit vorgewagt hat. Nur so kann man einem Rückzuge und vielleicht einer Einbuße an Ansehen vorbeugen. Solch Verzichten oder vorsichtiges Einlenken wird aber schwieriger, ja vielleicht unmöglich, wo Lebensfragen für uns auf dem Spiele stehen. Und da bleibt denn zu bedenken, daß, welchen Gang solch ein Krieg dann auch nehmen mag, schließlich doch kein Staat unter den wirtschaftlichen Folgen eines Weltkrieges schwerer leidet als England. Impavidum ferient ruinae!

So ergeben sich für einen kriegerischen Zusammenstoß mit England, wie er uns 1911 naherückte, militärisch-politische Grenzwerte, in die jeder Fall je nach den Umständen einzufügen sein wird, wenn man erkennen will, wieweit der Politiker unter vollem Einsetzen des Druckmittels, das unsre Flotte bietet, gehen darf, ohne den Krieg herbeizuführen, oder welchen Erfolg ein Krieg verspricht. Dies für die Ereignisse von 1911 nachträglich zu tun, wäre zwecklos. Hier kommt es nur darauf an, die Beziehungen festzulegen zwischen der Politik und dem Kriegswert der Flotte. Aber wir wollen dankbar dafür sein, daß es zu einem Einsetzen unserer Flotte nicht gekommen ist zu einer Zeit, da sie ihre volle Schlagkraft noch nicht erlangt hatte, und bei einer Gelegenheit, da es sich doch um Bestehen und Vergehen des Reiches nicht handelte. Drum muß auch die öffentliche Meinung in Deutschland bei solchen Anlässen ihre Ruhe bewahren und die Dinge mit richtigem Maßstabe messen.

England und Deutschland im Jubiläumsjahr.

Wenn man einen hinter uns liegenden Zeitabschnitt in seiner Gesamtheit erfassen will, so darf man den stets in Fluß befindlichen politischen Tagesvorgängen nicht zu große Bedeutung beilegen, trotzdem verdienen die Verhandlungen über die Flottenforderungen beider Länder für das Jubiläumsjahr 1913 der Erwähnung, weil sie einen gewissen Abschluß der Stellung Deutschlands zu England bedeuten.

Als der Staatssekretär des Reichsmarineamtes auf eine Anfrage in der Budgetkommission des Reichstages erklärte, ein vom ersten Lord der Admiralität 1912, wenn auch unter allerlei Vorbehalten besprochenes Stärkeverhältnis von 16 zu 10 zwischen den beiderseitigen Schlachtflotten sei für die nächsten Jahre annehmbar, da ging es wie ein Aufatmen durch einen Teil der englischen Presse. Solch Stärkeverhältnis war ja von uns noch nie erreicht worden, Großadmiral v. Tirpitz konnte es ruhig akzeptieren. Er sagte den Engländern damit aber eigentlich auch nichts anderes, als was ihnen als der Sinn unseres Flottengesetzes schon längst hätte bekannt sein können. Daß der Risikogedanke, der unseren Rüstungen zugrunde liegt und der England von einem Kriege gegen uns abhalten soll, klarer zutage tritt, wo er sich in bestimmte Zahlen kleidet, ist ja verständlich. Aber wer will solche Rechnungen prüfen in einer Zeit, da auch die englischen Kolonien für das Mutterland Schlachtschiffe bauen?

Im übrigen waren lange Begründungen für den neuen Etat im Reichstage nicht nötig. Bewegten sich doch die Forderungen ganz im Rahmen des Flottengesetzes und seiner Novellen, wie sie, zum Teil unter dem Einfluß des an politischen Erregungen so reichen Jahres 1911, zustandegekommen und bereits genehmigt waren. Daß an dem von langer Hand her Beschlossenen das zeitweilige politische Zusammengehen der beiden

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/422&oldid=- (Version vom 12.12.2020)