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Länder nichts ändern konnte, das die Lage auf dem Balkan gebracht hat, war selbstverständlich. Uns könnte es ja sogar nur erwünscht sein, und dem Frieden in der Welt würde es nur dienen, wenn England erkennen wollte, daß ein dauerndes Zusammengehen auch mit einem zur See wehrhaften Deutschland möglich ist. Damit es aber auch danach handelt, ist notwendig, daß solch Zusammengehen nicht eine societas leonina wird. Unsere Flottenrüstung, die wir ja übrigens auch nicht allein Englands wegen tragen, würde dadurch nicht überflüssig werden.

Den deutschen Etatsberatungen folgten die englischen. Ihnen war eine allgemeinpolitische Aussprache vorhergegangen, die dem Premierminister Asquith Gelegenheit gab zu erklären, daß eine Verpflichtung für England, Frankreich für den Fall eines Krieges gegen Deutschland mit Heeresmacht zu unterstützen, nicht bestände. Englische Blätter beeilten sich hinzuzufügen, die Absicht zu solcher Unterstützung bestände sicher, denn sie läge als ein wesentlicher Akt der Selbstverteidigung im englischen Interesse.

Bei Vertretung des große Forderungen stellenden Flottenetats bemühte sich der erste Lord der Admiralität alsdann, Deutschland gegenüber einen ruhigen Ton zu finden, doch ist ihm dies, trotz alles Lobes, das er unserer Flotte spendete, nicht ganz gelungen. Denn als eine ruhige Aussprache kann man es wohl nicht bezeichnen, wenn er die aus der Natur der Dinge herausgewachsene Lage zwischen den beiden Staaten einmal als eine „verschwenderische, zwecklose, nichtige Torheit,“ ein anderesmal als „eine der traurigsten und törichtsten Kapitel in der ganzen Geschichte der europäischen Zivilisation“ bezeichnet. Wenn man allerdings hört, daß er weiter die Vorherrschaft Britanniens zur See für „einen Teil des gemeinsamen Schatzes der Menschheit“ erklärt, so können solche, teils nervös gereizten, teils unsachgemäßen Urteile nicht wundernehmen. Gewiß, die nach den Siegen der Napoleonischen Zeit entfaltete Friedenstätigkeit des englischen Volkes, das sich im 19. Jahrhundert ausbreitete über die Welt, hat diese europäischer Gesittung erschlossen und den „gemeinsamen Schatz der Menschheit“ vermehrt. Aber soll jedes Gebiet, das weiter noch sich öffnet, auch England gehören? Ist für uns andere kein Platz an der Sonne?

Man findet ja oft bei englischen Politikern die Ansicht vertreten, Englands unbeschränkte Vorherrschaft zur See sei ein Segen für die Welt, und englisches Gerechtigkeitsgefühl werde den anderen Staaten schon zukommen lassen was ihnen gebühre. Es ist schwer, solche Auffassung mit den Lehren der Geschichte in Einklang zu bringen und mit den nüchtern-realpolitischen Anschauungen, die man doch sonst in England hat. Sollen wirklich alle anderen im Vertrauen auf englisches Gerechtigkeitsgefühl auf der See von seiner Gnade leben?

Aber noch schärfere Aussprüche finden sich in dieser Rede des englischen Ministers. Den Motiven zum deutschen Flottengesetz nachgebildet scheinen die drohenden Worte, England könne nie dulden, daß jemals eine andere Seemacht ihm so nahe käme, daß sie imstande sei, blos durch einen Druck zur See Englands politische Einwirkung abzulenken oder einzuschränken. Eine solche Lage würde ohne Frage zum Kriege führen. Soll denn zur See nicht recht sein, was zu Lande als billig gilt? Ist nicht jedes Heer ein Mittel, um politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen?

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/423&oldid=- (Version vom 12.12.2020)