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wurden die richterlichen Funktionen erster Instanz zunächst vielfach juristisch vorgebildeten Bezirksamtmännern mitübertragen.

Für die eingeborene Gerichtsbarkeit wurden Mitte der neunziger Jahre feste Normen geschaffen. Danach wurde sie von den Bezirksverwaltungsbeamten unter Zuziehung von Eingeborenen als Beisitzern ausgeübt, insoweit sie nicht ganz den Stammeshäuptlingen überlassen blieb.

Missionen.

Eine wesentliche Unterstützung in ihrem Bestreben, die Eingeborenen zu heben und der Kultur zu gewinnen, fanden die Gouvernements bei den Missionen beider Bekenntnisse. Diese haben zum Teil das Verdienst, durch ihre Tätigkeit der deutschen Besitzergreifung günstig vorgearbeitet oder aber die Befriedung unserer Kolonien erleichtert zu haben. Andererseits war allerdings die Aufrichtung und Ausdehnung der deutschen Herrschaft sowohl für die Intensität der Missionsherrschaft, wie für die Ausdehnung ihres Einflusses von großem Vorteil. So konnten die schon im Lande tätigen Gesellschaften die Zahl der Stationen erheblich vermehren und das Evangelium in noch gänzlich unberührte heidnische Stämme hineintragen, während andere ihre segensreiche Tätigkeit erst infolge der deutschen Besitzergreifung begannen. Neben der Heidenbekehrung lag auch der Schulunterricht der eingeborenen Kinder in der ersten Zeit fast ausschließlich in den Händen der Missionen, die dafür erhebliche Opfer gebracht haben.

Wirtschaftliche Versuche. Land- und Minen-Konzessionen.

Einen wenig erfreulichen Verlauf nahm in dieser Periode die wirtschaftliche Entwickelung der Schutzgebiete. Angesichts der Unmöglichkeit, von den gesetzgebenden Körperschaften die für eine planmäßige Erschließung derselben erforderlichen Mittel zu erhalten, und bei dem Mangel an eigener praktischer Erfahrung machte die als Abteilung des Auswärtigen Amtes unselbständige und in ihrer Bewegungsfreiheit gehemmte Kolonialverwaltung den Versuch, die wirtschaftliche Entwicklung in die Hände einer Reihe mit weitgehendsten Rechten ausgestatteter Privatgesellschaften zu legen. Dieser Entschluß war von um so größerer Tragweite, als nunmehr zu den schon vorhandenen, ihre Rechte aus alten Verträgen herleitenden, über sehr ausgedehnte Areale verfügenden Gesellschaften, wie der Neuguinea-Kompagnie, der Deutsch-Ostafrikanischen-Gesellschaft und der Kolonialgesellschaft für Südwestafrika, neue monopolartige große Land- und Bergwerksgesellschaften hinzutraten. Auch wenn man die damalige schwierige Lage der Kolonialverwaltung durchaus würdigt, so mußte doch Art und Umfang der erteilten Konzessionen und die unzureichende Abwägung von Rechten und Leistungen große Bedenken erregen. Dem Kolonialrat ist der Vorwurf nicht erspart geblieben, infolge zu starker Interessentenvertretung die Kolonialverwaltung in dieser wichtigen Frage nicht gut beraten zu haben. Daß bei der Vergebung der Konzessionen tatsächlich schwere Fehler gemacht worden sind, geht am deutlichsten daraus hervor, daß man sich später veranlaßt sah, dieselben erheblich einzuschränken oder ganz zurückzunehmen, in einzelnen Fällen auch Gesellschaften erteilte Rechte durch weitere unverhältnismäßig große und

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/436&oldid=- (Version vom 12.12.2020)