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Bündnis zu lösen und durch vertragsmäßige Bande an uns zu knüpfen, für absehbare Zeit verbaut. Wohl aber kann Deutschand die deutschlandfeindliche Spitze des Zweibundes durch Sanierung der deutsch-russischen Beziehungen abstumpfen. Diese Aufgabe war erfüllbar und sie ist erfüllt worden, wesentlich erleichtert durch die zwischen unserem Kaiser und Kaiser Nikolaus bestehenden persönlichen Beziehungen. Die Hoffnungen der französischen Chauvinisten auf das russische Bündnis haben sich nicht erfüllt. Die russischen Staatsmänner haben Frankreich sogar gelegentlich zu verstehen gegeben, daß die russische Politik nicht gewillt sei, in den Dienst einer französischen Revanchepolitik zu treten. Die hochgespannten Erwartungen, mit denen in Frankreich der Abschluß des Zweibundes begrüßt worden war, mußten allmählich herabgestimmt werden. Die französische Politik sah sich gezwungen, in der Richtung der die nationale französische Stimmung im letzten Ende beherrschenden Gefühle und Aspirationen einen Ersatz für die getäuschten Zweibundhoffnungen zu suchen. Sie fand diesen Ersatz in der französisch-englischen Entente, die zeitweise für uns eine bedrohlichere Rolle gespielt hat als der Zweibund. Der die Franzosen beherrschende Groll gegen die deutschen Herren von Elsaß-Lothringen suchte und fand einen Verbündeten in der mit dem Ausbau unserer Flotte und mit unserer überseeischen Entwicklung Schritt für Schritt anschwellenden Unruhe und Eifersucht weiter englischer Kreise. Dem Zweibund fehlt im Grunde ein beiden verbündeten Mächten gemeinsamer und dauernder Interessengegensatz zum Deutschen Reich. Rußland findet mit seinen macht- und wirtschaftspolitischen Ansprüchen vielleicht keine europäische Macht so selten auf seinem Wege wie Deutschland. Gewiß fehlt es nicht an Gegensätzen auch zwischen England und Frankreich. England hat in der weiteren Welt bis in die jüngste Zeit hinein seine folgenreichsten Fortschritte meist auf Kosten Frankreichs erreicht, so im Sudan, so zuvor in Hinterindien. Aber es stand Frankreich, dem die überseeische Politik keine Lebensfrage ist, frei, seine weltpolitischen Interessen denen Englands nachzustellen und dadurch die französisch-englischen Gegensätze zu beschränken um den Preis eines französisch-englischen Einvernehmens. Frankreich hat den hohen Einsatz für die Freundschaft Englands gezahlt, nachdem es sich in seinen Zweibundhoffnungen enttäuscht sah.

Deutschland und Frankreich.

Man könnte sagen, der Groll gegen Deutschland ist die Seele der französischen Politik, die anderen internationalen Fragen sind mehr materieller Natur und gehen nur den Leib an. Es liegt in der Eigenart des französischen Volkes, daß es das seelische Bedürfnis dem materiellen voranstellt.

Die Unversöhnlichkeit Frankreichs ist ein Faktor, den wir in unsere politischen Berechnungen einstellen müssen. Es scheint mir schwächlich, die Hoffnung zu nähren, Frankreich wirklich und aufrichtig versöhnen zu können, solange wir nicht die Absicht haben, Elsaß-Lothringen wieder herauszugeben. Und diese Absicht ist in Deutschland nicht vorhanden. Gewiß gibt es eine Menge Einzelfragen, wo wir Hand in Hand mit Frankreich gehen und namentlich zeitweise mit ihm zusammengehen können. Wir müssen

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/51&oldid=- (Version vom 31.7.2018)