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geschweige denn beseitigt werden. Der momentane Zorn gegen England hätte noch viel leidenschaftlicher und innerlicher sein können, als er es tatsächlich war, er wäre doch nicht der Anfang dauernder feindseliger Gesinnungen geworden, denn das Verhältnis Frankreichs zu England war schon vor dem Konflikt im Sudan in die Rechnung der französischen Politik einbezogen worden. Frankreich sah schon früh in der englischen Eifersucht gegen Deutschland den natürlichen Verbündeten gegen die Sieger von 1870 und drängte an die Seite Englands. Man war in Paris enttäuscht, daß England für die französische Freundschaft ein Opfer an Interessen im Sudan und am Nil nicht hatte bringen wollen, aber Frankreich selbst war unter allen Umständen, wenn auch mit zusammengebissenen Zähnen, bereit, den gleichen und höheren Preis für die englische Freundschaft zu zahlen. Die Niederlage im Faschoda-Streit wurde auf das Unkostenkonto der französischen Revanchepolitik gebucht und wirkte im letzten Erfolge weniger verstimmend gegen England als aufs neue erbitternd gegen Deutschland. Achtundvierzig Stunden nach dem Zurückweichen Frankreichs im Faschoda-Streit wurde ein französischer Botschafter, einer der besten politischen Köpfe Frankreichs, von seinem italienischen Kollegen auf den Stand der französisch-englischen Beziehungen angesprochen. Der Italiener fragte, welche Rückwirkung das Ereignis auf die französische Stellung zu England haben werde. Der Franzose erwiderte: „Eine günstige! Nachdem die Differenz über den Sudan erledigt ist, steht einer vollen Entente mit England gar nichts mehr im Wege.“

Triple-Entente.

Diese Entente ist denn auch nicht lange nach dem Faschoda-Zwischenfall zustande gekommen und hat sich bis heute durch alle Wechselfälle der internationalen Politik behauptet. Durch sein Bündnis mit Frankreich und die Verwicklungen im Osten ist Rußland häufig an die Seite der französisch-englischen Entente getreten, so daß mit Recht von einer Triple-Entente gesprochen werden darf, als eines Gegenstücks zum Dreibunde. Die politische Führung des Dreiverbandes hat in den entscheidenden Momenten meist in den Händen Englands gelegen. Und England hat sich bisher ebensowenig wie Rußland dazu verstanden, in den Dienst der französischen Revanchepolitik zu treten, sich vielmehr von den eigenen Interessen leiten lassen. Die englische Führung hat uns zuzeiten das Leben schwer gemacht, aber sie hat ebensooft beruhigend und ernüchternd auf Frankreich eingewirkt und für die Erhaltung des europäischen Friedens Wertvolles geleistet.

Deutschland – Frankreich – England.

Gewiß ist es England Ernst mit seiner Besorgnis vor unserer aufsteigenden Seemacht und unserer ihm an vielen Punkten unbequemen Konkurrenz. Gewiß gibt es noch heute Engländer, die glauben, daß, wenn der lästige deutsche Rivale aus der Welt verschwände, England nach dem Ausspruch von Montaigne, que le dommage de l’un est le profit de l’autre nur gewinnen könne. Zwischen solchen englischen Stimmungen und der französischen Grundstimmung uns gegenüber besteht aber doch ein ausgeprägter Unterschied, der politisch entsprechend zum Ausdruck kommt. Frankreich würde uns angreifen, wenn es sich bei zureichenden Kräften glaubte, England nur

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/60&oldid=- (Version vom 31.7.2018)