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Erfolge deutscher Weltpolitik.

Die deutsche Politik hat es verstanden, schon bevor sie sich eine starke Flotte geschaffen hatte, uns für unsere Weltinteressen zukunftsreiche Stützpunkte zu sichern. Unseren alten Kolonialbesitz haben wir entwickelt und gefördert. Der ernste Aufstand der Hereros in Südwestafrika wurde, wenn auch unter großen Kosten und schmerzlichen Opfern, dank der Zähigkeit und Bravour unserer Truppen in langen und mühsamen Kämpfen überwunden. Die Namen der Tapferen, die im afrikanischen Wüstensand kämpften und starben – ich nenne nur den Grafen Wolff-Werner von Arnim und den Freiherrn Burkhard von Erffa, die beide freiwillig hinüberzogen und drüben beide heldenmütig in den Tod gingen – verdienen es, in unserer Geschichte fortzuleben, denn sie haben bewiesen, daß unser Volk in langer Friedenszeit seine kriegerischen Tugenden nicht eingebüßt hat. Der südwestafrikanische Aufstand bezeichnete eine Krisis in unserer Kolonialpolitik, aber auch die Wendung zum Besseren. Durch die Reorganisation der Kolonialverwaltung, die Umwandlung der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts in ein selbständiges Reichsamt, vor allem durch die Erweckung eines lebendigen Verständnisses für unsere Aufgaben und Ziele auf kolonialem Gebiete gelang es während der Amtszeit des Staatssekretärs Dernburg, unsere Kolonialpolitik endlich über den toten Punkt wegzubringen. Es ging hier wie in der Flottenfrage. Unter großen Mühen und in langen Kämpfen ist es uns schließlich doch geglückt, alle bürgerlichen Parteien von der Nützlichkeit und Notwendigkeit einer positiven Kolonialpolitik zu überzeugen und sie für eine solche zu gewinnen. Gleichzeitig mit dem Beginn unseres Flottenbaues erfolgte im Herbste 1897 unsere Festsetzung in Kiautschou und einige Monate später der Schantung-Vertrag mit China, eine der bedeutsamsten Aktionen der neueren deutschen Geschichte, die uns unseren Platz an der Sonne in Ostasien gesichert hat, an den Gestaden des Stillen Ozeans, denen eine große Zukunft vorbehalten ist. Bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts hatte sich Europa nur an der Peripherie des chinesischen Reichs betätigen können. Inzwischen hat sich auch dessen Inneres mehr und mehr erschlossen. Bei der Industrialisierung eines Riesenreichs von 400 Millionen Einwohnern, und fleißigen Einwohnern, ist viel zu gewinnen. Auf diesem unermeßlichen Feld dürfen wir nicht in das Hintertreffen geraten, sondern wir müssen unsere dortige Position behaupten und ausbauen. Der Ausgang des spanisch-amerikanischen Krieges bot uns 1899 die Möglichkeit, durch den Erwerb der Karolinen- und Mariannen-Gruppe einen Stützpunkt in Polynesien zu erwerben. Ein Jahr später gelang es, den langjährigen Streit um Samoa durch ein Abkommen mit England und Amerika in einer für uns vorteilhaften Weise zu beendigen. Im Jahre 1898 schlossen wir einen Vertrag mit England, der bedeutsam war, nicht nur weil durch ihn unsere Beziehungen zu England in einem eher schwierigen Stadium ohne Gefährdung unseres Verhältnisses zu anderen Mächten erleichtert wurden, sondern auch weil er uns für die Zukunft wertvolle Aussichten sicherte. Um das Zustandekommen dieses Vertrags, der um so

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/63&oldid=- (Version vom 31.7.2018)