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gebildeten Konstrukteurs, sie waren dem Nur-Praktiker ausgeliefert und konnten sich deshalb nur langsam und nicht ohne viele Fehlversuche entwickeln.

Damals wie heute schien es dem ernsthaft in die Zukunft blickenden Ingenieur möglich, weitere Fortschritte im Maschinenbau zu erringen, aber nur schrittweise, mit großem Energieaufwand. Die Entwicklung aber hat seine optimistischen Hoffnungen weit übertroffen, denn ihre Kurve ist eher steiler als flacher geworden. Ein Ingenieur, der heute 5 Jahre lang auf einer Entwicklungsstufe seines eignen Sondergebietes stehen bleiben wollte, würde nach dieser Zeit im Wettbewerb nicht mehr erfolgreich sein. Ein Hochschullehrer, der nicht mindestens auf einem Gebiete versucht, Führer der industriellen Entwicklung zu sein, wird bald seinen Ruf als Autorität verlieren. Es genügt für ihn nicht, zu sehen und zu sammeln, sondern es gilt mitzuarbeiten und womöglich vorzuarbeiten, Wege zu zeigen und zu ebnen. Das letztere aber erfordert, daß die praktische Ausführung einer Idee im Konstruktionssaal des Hochschullehrers bis in die kleinsten Einzelheiten überdacht wird, denn gerade in diesen liegt die größere Masse der noch zu lösenden wissenschaftlichen Aufgaben.

Anstoß und Hilfsmittel zur Entfaltung.

Den Anstoß und die Hilfsmittel zu ihrer mächtigen Entfaltung in den letzten 25 Jahren bekam die Maschinen-Industrie aus verschiedenen Quellen. Man kann zwei Hauptmomente unterscheiden: Die durch die Veränderungen in der menschlichen Gesellschaft geschaffenen Bedürfnisse, deren Befriedigung erst nach ihrem Auftreten mit Hilfe der Maschinen-Industrie versucht und gefunden wird. Zweitens die, durch eine hervorragende, in industrielle Verwertung umsetzbare Idee geschaffene Möglichkeit, Bedürfnisse, die in ihren Anzeichen vorhanden, aber wegen ihrer bisherigen Unerfüllbarkeit übersehen oder zurückgesetzt waren, in weitgehender Weise an die Oberfläche zu bringen und zu befriedigen.

Einen Vorsprung in der Erkenntnis des Kommenden hat derjenige, der wirtschaftliche Ermittelungen anzustellen und ihre Konsequenzen zu übersehen vermag. Mißlich ist, wenn der Anstoß vom Ausland kommen muß, beschämend und von schweren wirtschaftlichen Nachteilen begleitet, wenn wir jahrelang die Notwendigkeit, dem Beispiel des Auslandes zu folgen, verkennen, wie es um 1890 noch im Werkzeugmaschinenbau der Fall war.

Die Hilfsmittel, derer sich die Maschinen-Industrie in dem bewundernswerten Aufschwung der letzten 25 Jahre bedienen konnte, waren trotz einiger Jahre wirtschaftlicher Hemmungen reichlich und vielseitig. Die Verfeinerung der Eisen- und Stahlarten und der Maschinenbau-Metallegierungen, der Ausbau der theoretischen Erwägungen und Berechnungen auf Grund umfassender und gründlicher Versuche, die, durch die Steigerung des Maschinen-Umsatzes vermehrte Gelegenheit zum Sammeln und Sichten praktischer Erfahrungen, die fortschreitende Fürsorge für die Ausbildung der Arbeiter, Werkmeister, Techniker und Ingenieure, die Anpassung der kaufmännischen Verwaltung an die Technik und der Technik an die kaufmännischen Notwendigkeiten, der Schutz der heimischen Erzeugnisse gegen ungesunden Wettbewerb der Auslandserzeugnisse, der

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/106&oldid=- (Version vom 20.8.2021)