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in kleine Städte könnte die Großstädte entlasten. Dort ist die Gelegenheit zur körperlichen Erholung leichter zu schaffen. Aber wir müssen verhüten, daß der Landwirtschaft durch diese Dezentralisierung noch mehr Arbeiter entzogen und das Eindringen und Festsetzen von Landarbeitern nichtdeutscher Abstammung weiter wie bisher gefördert wird. Hier muß, und zwar bald, großzügige Arbeit geleistet werden, die einesteils die Landarbeiter am Orte hält, andernteils ihnen die Möglichkeit bietet, in der stillen Zeit durch industrielle Betätigung ihr Einkommen zu erhöhen. Man muß nicht nur blindlings dezentralisieren, sondern man muß gruppieren, d. h. man muß solche Industrien auf das Land verlegen, welche kein großes Anlagekapital und keine Großbetriebe erfordern, so daß eine zeitweise Stillegung während der landwirtschaftlichen Haupt-Arbeitsperioden keinen großen Zinsverlust bringt; ferner sollen diese Industrien möglichst die landwirtschaftlichen Erzeugnisse am Orte verarbeiten oder die Befriedigung der Bedürfnisse der Landwirtschaft vorbereiten. Eine Menge in den Großstädten nicht unmittelbar verbrauchbarer Lasten geht mit den Lebensmitteln in die Städte, um von dort wieder ins Land zurückzugehen. Die Maschinen-Industrie, richtig genutzt, gibt hier eine Reihe vorzüglicher Hilfsmittel zur Abhilfe und Gesundung in Form billiger und in jedem Hause aufstellbarer Maschinen, die Überlandführung elektrischer Energie gibt jedem Orte und jedem Bauernhause die zum Betriebe der Maschinen nötige Kraft. Im Gemeindewerkhause würden die Klein-Industrien untergebracht, welche eine gewisse Arbeitsteilung erfordern, dort würden die Geräte der Landwirtschaft im Winter instand gesetzt, die Jugend im Gebrauch derselben unterrichtet, die Kleidung der Dorfbewohner halbindustriemäßig hergestellt, Hausgeräte gefertigt und Heimatkunst geübt. Den einzelnen Werkstätten müßten Gemeindewerkmeister vorstehen, der Gemeinde-Ingenieur und der Heimatkunstlehrer das Ganze leiten.

Die Zahl der Genossenschaftsmolkereien mit Kühlmaschinenbetrieb, Buttererzeugung und Käserei ist allenthalben im Wachsen begriffen. Warum soll nicht auch die Fleischversorgung der Städte in gleiche Bahnen gelenkt werden können? In jedem Kreise können ein oder mehrere Vieh- und Schlachthöfe errichtet werden, von wo den Großstädten das Fleisch in maschinell gekühlten Eisenbahnzügen zugeführt wird. Die Abfallstoffe, Leder, Bein, Horn usw., werden auf dem Lande belassen und zum Teil in Gemeindewerkhäusern oder in der Hausindustrie weiterbearbeitet, statt am lebenden Vieh erst in die Städte zu wandern und von dort wieder an die Industrien verteilt zu werden. Die ungeheuren Vieh- und Schlachthöfe der Großstädte verschwinden mit allen ihren häßlichen Nebenerscheinungen, der Viehhandel wird in gesunde Bahnen geleitet, der qualvolle, verlustreiche und teure Transport des Schlachtviehes in die Städte, die teure Wiederauffütterung desselben in der Stadt verschwindet, die Verbreitung der Seuchen in den Viehhöfen wird eingeschränkt. Die Landbevölkerung findet industrielle Betätigung zu Hause und wird sich damit um so lieber befassen, als es doch die Erzeugnisse der Landwirtschaft sind, die sie weiterverarbeitet.

Die Gruppierung der hierzu geeigneten Industrien um die Landwirtschaft wird aber nur durch großzügige Arbeit und eingehendes Studium zu erreichen sein, die Regierung, die Maschinen-Industrie, die großen landwirtschaftlichen Verbände werden zusammen

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/116&oldid=- (Version vom 20.8.2021)