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der Faser stattfand. Der Stoff wurde dichter, die einzelnen Fäden wurden durchsichtiger und dicker, dafür war er aber sowohl in der Länge, als auch in der Breite erheblich eingegangen. Das Mercersche Verfahren ist zur Erzeugung von Krepp- und Damastartikeln verwendet worden. Man benutzte hierbei nicht nur die Eigenschaften des Schrumpfens der Faser, sondern auch die Tatsache, daß sich die mit Lauge behandelte Faser später weit dunkler anfärbt. Bei Versuchen zur Herstellung solcher zweifarbiger Effekte machte die Firma Thomas & Prevost in Krefeld im Jahre 1895 die wichtige Entdeckung, daß man den großen Nachteil des Einlaufens der Fäden durch starkes Strecken der Garne oder Gewebe vermeiden kann und hierbei gleichzeitig einen hohen, seidenähnlichen Glanz auf der Baumwolle erhält. Der durch das Mercerisieren auf der Baumwollfaser hervorgebrachte Effekt ist ein so bedeutender, daß dieses Verfahren heute unbedenklich als das weitaus wichtigste und meist ausgeübte Veredlungsverfahren für Baumwolle angesehen werden kann. Ägyptische Baumwollgarne mittlerer Garnnummer und von nicht zu fester Zwirnung erhalten durch das Mercerisieren einen so hohen Glanz, daß sie von Chappeseide kaum noch zu unterscheiden sind. Der hohe Glanz wird durch das Mercerisieren nicht, wie dies in der Appretur vielfach der Fall ist, durch äußerliche Mittel lose auf die Faser gebracht, sondern der Glanz entsteht durch eine vollkommene Strukturveränderung der Baumwollfaser selbst und ihre physikalischen und chemischen Eigenschaften, er verschwindet nicht bei nachherigem Waschen, Bleichen, Färben, Abreiben usw. Die Zunahme der Zerreißfestigkeit beträgt, wenn das Mercerisieren unter Streckung vorgenommen wird, noch 25–30%. Sehr wichtig ist die neue chemische Eigenschaft der mercerisierten Baumwolle, sich mit allen Farbstoffen viel intensiver anzufärben als die nicht mercerisierte. Die auf diese Weise erzielte Farbstoffersparnis ist eine sehr wesentliche und beträgt bei hellen Nuancen 10–15%, bei dunklen sogar 25–30% an Farbstoff. Die Möglichkeit, aus der Baumwolle eine so gut wie neue glänzende Faser herzustellen, hat derselben viele neue Gebiete der Textilindustrie erschlossen, besonders nachdem man es gelernt hat, nicht allein die Garne, sondern auch die fertigen Gewebe zu mercerisieren. Mercerisierte Baumwolle wird für sehr viele Zwecke der Besatzindustrie verwendet, die einer Verwendung gewöhnlicher Baumwolle nicht erschlossen waren. Vor allem sind hier die Borden für Portieren, Vorhänge, Möbel usw. zu nennen, auch diese Stoffe selbst werden so häufig unter Verwendung mercerisierter Baumwolle hergestellt, daß sie diesem Zweige der Textilindustrie ein ganz bestimmtes Gepräge erteilt haben. Während es im Jahre 1896 etwa 20 Mercerisieranstalten mit einer Tagesleistung von etwa 5000 Pfund gab, dürften es heute 200 mit einer Tagesleistung von 150 000 Pfund sein.

Seidenfinish.

Die neueren Fortschritte der Glanzerzeugung liegen nicht mehr auf dem Gebiete des Mercerisierens, sondern fast ausschließlich in der Art des Kalanderns. Der alte zusammenhängende, speckige und spiegelnde Kalanderglanz hat niemals den Beifall der Abnehmer gefunden und selbst, wenn man ohne Fettzusatz kalandert, bessert sich das Aussehen des Glanzes nicht wesentlich. Die Kundschaft verlangt nun aber ein der Seide möglichst ähnliches Aussehen

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/162&oldid=- (Version vom 28.11.2016)