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Zukunft vor. Solche können auch für das Fideikommißwesen in der Richtung neuer Regelung und Beschränkung beim ländlichen Großgrundbesitz und in umgekehrter Richtung in der Ausgestaltung des bäuerlichen Besitz- und Erbrechtes für die Zukunft kaum bestritten werden. Der Bauernschutz der friderizianischen Zeit ist seit der Grundbesitzfreiheit fortgefallen, und so ist es bis jetzt geblieben. Aber damit ist in der Periode des modernen Großkapitalismus im Gebiet von Industrie, Handel, Geld, Bank- und Börsengeschäft und -erwerb wie in England eine Gefahr für Bauernland und Bauernschaft und damit für den vollends in Deutschland unentbehrlichen Grundstock unserer Bevölkerung erwachsen, von der sich immer deutlichere Spuren offenbaren. Auch schädliche Nebenfolgen des Agrarschutzzolles für Land- und Volkswirtschaft, für Besitz und soziale Verhältnisse machen sich damit kund. Gegenüber dieser Passivität von Regierung und Volksvertretung in der Gesetzgebung taucht bei Weiterblickenden der Gedanke an das alte videant consules jedenfalls auf. Und mit Recht. Das möchte am Schluß der letzten 25jährigen Periode für Preußen, aber doch auch für das übrige Deutschland (wie vollends für unser nachbarliches Österreich) nicht bestritten werden können. Im Deutschen Reich als Ganzen möchte so auch die Zeit herannahen, wo die einzelstaatliche Partikulargesetzgebung auf agrarpolitischen und verwandten Gebieten, im Kreditwesen und in der Kreditpolitik, im Fideikommißwesen durch die Reichsgesetzgebung im nationalen Gesamtinteresse ersetzt oder wenigstens ergänzt werden müßte. Diese und verwandte Fragen der, soweit zur Lösung solcher Aufgaben erforderlich, Erweiterung der Reichskompetenz sind aus dem Gesichtskreis unserer Staatsmänner, Parlamentarier und selbst unserer Theoretiker zu sehr zurückgetreten oder mindestens in diesen Gesichtskreis noch zu wenig hineingetreten.

Was sonst noch die agrarischen Verhältnisse im letzten Menschenalter anlangt, hängt mit der Entwicklung der allgemeinen Gesetzgebung über Verkehrs-, Geld-, Kredit- und Bankwesen, Gewerbe und Handel usw. zusammen.

Innere Gewerbe- und Handelspolitik.

In der inneren Gewerbe- und Handelspolitik war der Norddeutsche Bund und das Deutsche Reich im wesentlichen der preußischen Gesetzgebung aus der Zeit nach 1806 gefolgt. Dadurch war der leitende Grundsatz der Gewerbefreiheit zur Anerkennung gelangt. Die Rückschritte auf diesem Gebiete, welche in Preußen besonders 1845 und 1849 erfolgt waren, waren dabei, zum Teil unter Einfluß der in manchen anderen deutschen Staaten schon kurz vor 1866 ebenfalls eingebürgerten Gewerbefreiheit, wieder beseitigt worden. Durch Ausdehnung der gewerbefreiheitlichen und der damit sonst in näherer Verbindung stehenden Gesetzgebung über persönliche und gewerbliche Freizügigkeit, Eheschließungsfreiheit usw. auf das ganze norddeutsche und spätere Reichsgebiet − nur in einzelnen Punkten mit Ausnahme Bayerns − war so aus dem Reichsgebiete bzw. aus dem des Zollvereins ein großes, einheitliches Wirtschafts- und Marktgebiet, umsponnen von dem gemeinsamen Grenzzollnetz der Finanz- und Schutzzölle, gebildet worden. Dadurch war gerade in wirtschaftlicher Beziehung ein großer Fortschritt über die Zollvereinsperiode vor 1866 herbeigeführt. Durch die Ausdehnung des Zollvereinsgebietes

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/18&oldid=- (Version vom 14.2.2021)