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über Mecklenburg und Schleswig-Holstein, wenn auch erst später auf die Hansastädte, war das Zollvereinsgebiet auch mit dem Reichsgebiet im wesentlichen identisch geworden, wobei erfreulicherweise hier wenigstens der verbliebene Rest des alten deutschen Landes Luxemburg im Zollverein geblieben war. So ist das Reichs- und Zollgebiet nicht nur erheblich vergrößert, sondern auch besser arrondiert worden, was für Volkswirtschaft und Finanzen wichtig war. Durch die Gewerbeordnung von 1869, deren allmähliche Einführung nach 1870 auch in den süddeutschen Staaten, erst zuletzt auch im Reichsland Elsaß-Lothringen erfolgte, war so zum erstenmal in Deutschland eine einheitliche, gleichmäßige Gesetzgebung über inneres Gewerbe- und Handelswesen eingetreten, die Voraussetzung einer einheitlichen Entwicklung der ganzen deutschen Volkswirtschaft. Die etwas zu radikal-wirtschaftsfreiheitliche Gestaltung dieser Gewerbeordnung ist zwar bald nach ihrem Erlaß schon in der Reichszeit bis 1888 in manchen Punkten wieder modifiziert worden, aber hat doch im wesentlichen ihren Grundcharakter behauptet. In nachbarlich verwandten Rechtsgebieten, namentlich auf dem immer wichtiger werdenden Gebiet des Aktien-Gesellschaftsrechts, war durch eine Novelle von 1870 unter Beseitigung des Zwangs zur Individualkonzession, schon wegen der bloßen Rechtsform der Unternehmungen, der Übergang zu einem allerdings wesentlich bald als zu lax befundenen System bloßer Normativbedingungen eingetreten, der dem Gründungsschwindel unmittelbar nach dem Siege über Frankreich die Zügel so weit schießen ließ. Aber auch darin war bereits 1884 immerhin eine Modifikation und Beschränkung erfolgt. Die einheitliche Gewerbeordnung, das Freizügigkeits- und sehr erleichterte Niederlassungsrecht, die endlich nach Jahrhunderten wiedererreichte Geld-, Währungs- und Münzeinheit, die tiefgreifende Reform des Notenbankwesens, vor allem die Erhebung der Preußischen Bank zur Reichsbank und die großartige Entwicklung der letzteren, die Entwicklung des inneren Verkehrs- und Transportwesens, das Post- und Telegraphenwesen, trotz der in den Versailler Verträgen an Bayern und Württemberg gewährten Selbständigkeit, und die großartige Entwicklung des Eisenbahnwesens, bei dem zwar der bedeutende und folgerichtige Bismarcksche Gedanke eines Reichsbahnnetzes dank dem mittelstaatlichen Partikularismus nicht ausgeführt wurde, aber doch die einzelnen Staatsbahnnetze, vor allem das stark ausgedehnte preußische, diesem wichtigsten modernen Verkehrszweig fast ganz für Preußen und großenteils doch auch für das übrige Deutschland eine einheitliche Gestaltung gaben, − dies alles waren Errungenschaften von größter Tragweite für die deutsche Volkswirtschaft. Die durch die Gesetzgebung begünstigte Entwicklung des sonstigen Bank- und Börsenwesens, alle diese und weitere damit zusammenhängende Vorgänge, haben dann den gewaltigen Aufschwung der deutschen Volkswirtschaft in Gewerbe, Handel, Bergbau, im Großbetrieb, im Maschinenwesen und in der damit verbundenen methodischen Ausnützung der naturwissenschaftlich fundamentierten technischen Fortschritte zuwege gebracht und das innere Zusammenwachsen des deutschen Wirtschaftslebens über die Grenzen der Einzelstaaten, selbst Preußens hinaus, bedeutend gefördert. Das war schon in den ersten zwei Jahrzehnten des neuen Deutschen Reiches bis zu Kaiser Wilhelms I. Tode und bis zu Bismarcks Ausscheiden aus dem Reichs- und Staatsdienst erreicht. Damit war die Grundlage für die noch weitere und höhere Entwicklung

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/19&oldid=- (Version vom 14.2.2021)